Stefan Sagmeister im Gespräch

Schön und gut

Was hat Logistik mit dem österreichischen Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig zu tun? So einiges. Das Verstauen von Gütern und die Zustellung zum vereinbarten Zeitpunkt sind ein ästhetischer Akt: Man kann Pakete, Kisten oder andere Objekte einfach irgendwie in den vorhandenen Stauraum stopfen – oder sinnvoll packen, dicht und platzsparend. Die Ordnung, die so entsteht, ist praktisch, weil der Raum optimal genutzt ist und nichts verrutscht oder beschädigt wird. Außerdem sieht sie besser aus als eine chaotische Beladung und erfreut die Empfängerin oder den Empfänger, wenn alles heil und pünktlich angekommen ist. Und das ist die Brücke zum besagten Pavillon, im Jahr 2018 gesponsert von Gebrüder Weiss.

Der österreichische Pavillon auf dem Gelände der Biennale in Venedig wurde erbaut von Josef Hoffmann, einem der wichtigsten Vertreter der österreichischen Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie ist, wenn man so will, eine Architektur des ästhetischen Funktionalismus: Die Gebäude sind schön – und gleichzeitig funktionieren sie sehr präzise. Dieses Prinzip wird in einer temporären Installation im österreichischen Pavillon fortgesetzt. Ein großes, rosafarbenes Gleichzeichen, das in den Boden eingeschnitten ist, verbindet dort zwei Räume, in denen typografische Filme an die Decke projiziert werden, der eine zu Schönheit (Beauty), der andere zu Funktion (Function). Schönheit ist gleich Funktion, so die Aussage des amerikanischen Designbüros Sagmeister& Walsh, das diese Installation gestaltet hat. Gründer des Büros ist der Bregenzer Stefan Sagmeister. Das Nachdenken über das Zusammenspiel von Schönheit und Funktion hat eine lange Tradition. Der Satz »Form follows function« von Louis Sullivan beschreibt, dass Schönheit, oder genauer: eine schöne Form, dann entsteht, wenn sie aus der Funktion entwickelt wurde. Diese Aussage verdichtete der Architekt Adolf Loos zu »Ornament und Verbrechen« und meinte damit, dass Zutaten, die nicht der Funktion dienen, schlichtweg hässlich seien. – Wir wünschen uns ein schönes Haus und wollen es auch bequem bewohnen können. Aber ist Schönheit denn tatsächlich untrennbar mit Funktion verbunden? 20 Fragen an Stefan Sagmeister.

1. Du vertrittst Österreich dieses Jahr auf der Biennale, lebst aber seit 27 Jahren im Ausland. Was ist österreichisch an dir?
Ich habe alle meine wirklich prägenden Jahre in Österreich verbracht, bis 18 in Vorarlberg und dann bis 23 in Wien. Obwohl ich New York als meine Heimat bezeichnen würde, fühle ich mich als Österreicher – und nicht als Amerikaner. Ich bin mit einer Green Card hier und bin nie Staatsbürger geworden. Die kurze Antwort auf »Was ist österreichisch an dir?«: alles.

2. Schönheit = Funktionalität ist das Thema eurer Arbeit. Kannst du mir Alltagsbeispiele nennen?
Wir sind in unserem Studio durch Erfahrung darauf gekommen, dass die resultierende Arbeit umso besser funktioniert, je mehr wir die Form ernst nehmen und viel Liebe in die Schönheit stecken. Das lässt sich an zahlreichen Beispielen nachvollziehen: All die funktionalen 70er-Jahre-Wohnblöcke, die in den 90ern schon wieder gesprengt werden mussten, weil niemand mehr darinnen wohnen wollte – die hätten viel besser funktioniert, wenn Schönheit während der Planungsphase ein Teil des Ziels gewesen wäre.

3. Wo fehlt dir Schönheit?
Überall. Im Alltag. Online. Überall.

4. Gibt es Schönheit ohne Funktionalität?
Aber ja, und wie! Massenweise! Der größte Teil aller Kunst hat keine oder nur geringe Funktionalität, sie ist. Sie muss nichts tun, nichts können. Der französische Philosoph Theophile Gautier glaubte sogar, dass Funktionalität die Schönheit verhindert. Er meinte, dass nur etwas, das nicht funktioniert, schön sein kann. Das funktionalste Zimmer im Haus? Das Klo.

5. Oder Funktionalität ohne Schönheit?
Ja, die gibt es auch. Eine Autobahnabfahrt funktioniert wunderbar – die ideale Kurvatur, um eine Schnellstraße zu verlassen. Aber schön ist die nicht. Die meisten Menschen sind sich darüber einig, dass Autobahnabfahrten nicht schön sind, darum verbringt niemand den Urlaub dort und es gibt keine Hotels unter Autobahnabfahrten. Aber das könnte sich ändern, wenn eine solche Abfahrt mit Liebe und Sorgfalt gestaltet werden würde.

Stefan Sagmeister hat als Grafikdesigner Plattencover für Stars wie Lou Reed und die Rolling Stones gestaltet. In New York betreibt er mit Jessica Walsh die Agentur Sagmeister & Walsh. www.sagmeisterwalsh.com (Bild: Marco Scozzaro)
An die Decke zweier Räume werden Animationen zu den Begriffen Beauty und Function projiziert.

6. Kann nicht gerade auch das Kaputte schön sein?
Aber ja, in einem bestimmten Kontext, natürlich. Eine John-Chamberlain-Skulptur wird im Dia: Beacon-Museum immer gut aussehen. Aber wenn ich Menschen ein Foto vom Tadsch Mahal und einem Müllhaufen zeige, werden praktisch alle das Tadsch Mahal als schöner empfinden.

7. Was ist an Österreich schön?
Der Stephansdom. Das Kunsthaus Bregenz. Der Skyscape von James Turrell in Oberlech.

8. Was ist an Amerika schön?
Die Skyline in New York. Der Grand Canyon. »Spiritual« von Pat Metheny und Charlie Haden.

9. Ist Ornament ein Verbrechen?
Nein. Ich glaube, das hat am Schluss nicht einmal der Adolf Loos geglaubt.

10. Follows form wirklich function?
Nein. Dieser Satz stammt vom Chicagoer Architekten Louis Sullivan und wenn man dessen Arbeit betrachtet, zum Beispiel das Eingangsportal zum Carson Pirie Scott-Gebäude, dann wird sehr schnell klar, dass diese Form keinerlei Funktion folgt. Sie ist verziert, verspielt, ornamental.

11. Ist Schönheit ein Luxusbedürfnis?
Nein. Wir alle fühlen uns besser in einer schönen Umgebung. Und wir benehmen uns anders. Ich gehe jeden Morgen auf der High Line in New York laufen und habe dort kaum je ein weggeworfenes Papierchen gesehen. 50 Meter von der High Line entfernt im benachbarten Meatpacking District liegt viel Abfall in den Rinnsteinen, aber nicht auf der High Line. Die Sorgfalt, mit der die High Line gestaltet ist, verändert das Verhalten der Besucher.

12. Was würdest du selbst gerne verschönern?
Den Sicherheitsprozess am Flughafen.

Der Pavillion von Josef Hoffmann auf dem Biennale-Gelände.

13. Kann Schönheit auch hinderlich sein?
Vielleicht. Ich selber werde lieber von Schönheit behindert als von Hässlichkeit abgewiesen.

14. Was lässt sich zur Verteidigung der Hässlichkeit sagen?
Wir können die Schönheit auch als »formale Intention« beschreiben, dazu kann auch das Hässliche gehören. Wir mögen das gewollt Hässliche gern, wir schätzen es sehr. Der größte Teil von allem, was in dieser Welt hässlich ist, ist aber nicht hässlich, weil es jemand so wollte. Es ist hässlich, weil es jemandem egal war.

15. Welche Hoffnung liegt dem Glauben an die Schönheit inne?
Dass sie wieder ernst genommen wird und als ein Ziel in unsere Arbeit zurückkehrt.

16. Ist das amerikanische »schön« anders als das europäische?
Viele von uns empfinden das als schön, was wir gut kennen. Und der Kontext spielt eine große Rolle: Je sicherer ich mich fühle, desto mehr empfinde ich neue, überraschende Dinge als schön. Ich war letzte Woche im Museum MassMoca in Massachusetts und habe eine Arbeit von James Turrell (der auch die Fassade vom MAK in Wien neu gestalten wird) mit dem Titel »Perfectly Clear« erlebt. Es war so schön, dass es für mich drogenartige Formen annahm.

17. Was müsste passieren, damit du deinen Wohnsitz wieder nach Österreich verlegst?
Schöne Tankstellen. Schöne Bushaltestellen gibt es schon, zumindest in Krumbach im Bregenzer Wald.

Welche heimlichen Hoffnungen hegst du …
18. … für dein Herkunftsland?

Ich hoffe nie heimlich für Österreich.

19. … für deine jetzige Heimat?
Dass es bei einer Legislaturperiode Trump bleibt.

20. … für die Welt?
Dass es bei einer Legislaturperiode Trump bleibt. Der ist nicht so schön.

Das Gleichzeichen am Boden verbindet beide Räume.
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