Schach

Schach im Blut – und auf dem Stundenplan

Lesen, schreiben, rechnen, das lernen Kinder in der Grundschule. In Armenien kommt eine weitere Disziplin dazu: Die Kaukasusrepublik mit ihren drei Millionen Einwohnern hat 2011 als erstes Land weltweit Schach als Pflichtfach in der zweiten bis vierten Klassen eingeführt. Schach ist Nationalsport in Armenien und die Politik möchte das Können der zukünftigen Generationen nicht dem Zufall überlassen.

Die ganz grossen Meister blicken von der Wand, die jungen und die alten Meister spielen an den Tischen. (Bild: Tigran Petrosyan)

„Als Kind war ich vom Schach enttäuscht, weil ich nicht so gut wie mein Bruder spielte, der Weltmeister war“, erinnert sich Mikayel Andriasjan. Andriasjan ist erst 27 Jahre alt und bereits Generalsekretär des Schachverbands. Die Leidenschaft für das Königsspiel hat ihn dann doch noch gepackt. Neben der Verbandsarbeit koordiniert er das Schulprogramm und die gesamte Arbeit der landeseigenen Schachakademie. Hier studieren Nachwuchsspieler im Alter von fünf bis 20 Jahren und trainieren ihr Können bei Nachwuchswettbewerben – ergänzend zum Unterricht in der Schule. Die Akademie betreibt landesweit 53 Filialen in 53 Städten, die Aufnahmekriterien sind streng.

Wegen der guten Erfahrungen mit dem Pflichtfach gäbe es Pläne zur Ausweitung, erzählt der Generalsekretär, ein Curriculum für die fünfte bis neunte Klasse werde derzeit getestet. Sogar Länder wie Weißrussland, Usbekistan und Kirgisistan hätten sich an Armenien gewandt: Sie wollten das armenische Schulschachprogramm in ihre Bildungsstrukturen übertragen, vermutlich nicht zuletzt wegen der Effekte, die über das Gewinnen von Medaillen hinaus gehen. Andriasjan verweist auf internationale Studien und meint: „Wer Schach spielt, der nimmt keine Drogen.“

Vorbild für viele armenisches Schachspieler ist Tigran Petrosjan. Er war sowjetischer Schachgroßmeister, Weltmeister von 1963 bis 1969, stand auf Platz Eins der Weltrangliste mit der Mannschaft der UdSSR und gewann ebenfalls mit dieser Mannschaft neunmal bei der Schacholympiade. Nebenbei promovierte er in Philosophie über Logik im Schachdenken und war zudem jahrelang Chefredakteur der sowjetischen Schachzeitschrift.

Petrosjan, der bis heute verehrt wird wie ein Nationalheld, legte auch den ersten Stein des Schachhauses von Jerewan 1967. Seit seinem Tod im Jahr 1984 trägt das Schachhaus im zentralen Park den Namen des Meisters, seine Büste steht auf dem Vorplatz. Im Flur des Gebäudes selbst spielen die Senioren im regen Austausch über Strategien und Spielzüge.

Nicht weit von dort stehen mehrere Bänke und Tische im Park. Es ist ein lebendiger Ort, denn hier, unter den Bäumen, sitzen zahlreiche Jerewaner über die schwarz-weißen Bretter gebeugt und spielen Schach. Und zwar wirklich alle: Kinder, Frauen und Männer, Alte und Junge. Sie bestreiten Partien gegeneinander oder analysieren berühmte historische Spiele. Das Denken der großen Schachmeister verbindet sie alle. Die Menschen hier sind überzeugt: „Wer Schach spielt, hat die bessere Zukunft“. Und die beginnt schon in der Grundschule.

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