Andreas Cukrowicz im Gespräch

Eine Kiste, die was kann

Einfach und selbstverständlich, nicht spektakulär, sondern aufregend bescheiden – nach diesen Maßgaben bauen die Vorarlberger Architekten Cukrowicz Nachbaur, und so haben sie auch die Firmenzentrale in Lauterach entworfen. Zuletzt hat das Büro den Wettbewerb für das neue Konzerthaus in München gewonnen. Andreas Uebele hat mit seinem büro uebele im Jahr 2011 das Orientierungssystem für den Neubau der Messe Innsbruck entwickelt, ebenfalls ein Projekt von Cukrowicz Nachbaur. Seitdem verbindet den Architekten und den Kommunikationsdesigner nicht nur eine fruchtbare Zusammenarbeit, sondern auch eine gute Freundschaft.

Andreas Uebele: Das Headquarter von Gebrüder Weiss scheint zu schweben. Man steht quasi wie ein Kapitän auf der Brücke und hat den Überblick.
Andreas Cukrowicz: Genau. Und so muss das sein. Die Position oberhalb des Geschehens entspricht der Idee eines Hauptquartiers. Du hast auf diese Weise zwar viel mehr Oberfläche, die gedämmt werden muss. Und das kostet. Aber die Frage ist doch immer: Lohnt sich das Geld, das ich ausgebe? Was bekomme ich zurück? Was diesen Bau angeht, würde ich sagen: eine Menge. Aus demselben Grund haben wir uns für die quadratische Grundform entschieden. Das ist eine starke Form, gleichwertig in alle vier Himmelsrichtungen. Daraus hat sich alles andere entwickelt.

Gebrüder Weiss ist ein wichtiges Unternehmen, nicht nur im Ort als Arbeitgeber, sondern auch von überregionaler Bedeutung. Wie kann man diese Bedeutung in Architektur umsetzen? Muss das über einen Hochpunkt passieren?
Kann man machen. In Lauterach hätte das aber nicht gepasst, städtebaulich nicht und nicht im Kontext mit der Umgebung. Deshalb haben wir für die Wichtigkeit des Unternehmens einen anderen Ausdruck gefunden, nämlich Ausdehnung, die sowohl Größe als auch eine gewisse Gelassenheit ausstrahlt. Dass die Fläche über nur zwei Geschosse organisiert ist, korrespondiert mit den eher flachen Hierarchien im Unternehmen. Wir haben verstanden, dass hier Kontakte der Mitarbeiter untereinander erwünscht sind und dass es wichtig ist, dass der Chef nicht irgendwo oben in der 27. Etage sitzt, sondern dort, wo auch die anderen Mitarbeiter sind. Das war uns sehr sympathisch, denn so ticken wir auch. Offenheit und Weite sind also ein wichtiges Thema. Zugleich wollen wir die Grundbedürfnisse der Menschen, die in dem Gebäude arbeiten, nach außen hin schützen. Viele möchten nicht so exponiert sein, daher haben wir diesen Lamellenschirm entworfen, der eine gewisse Intimität bietet. Außerdem erzeugt er architektonisch interessante, unerwartete Effekte: Die Ausblicke ändern sich und geben wechselnde Landschaftsausschnitte preis.

Die optische Durchlässigkeit, die durch die raumhohen Verglasungen entsteht, ist ein interessanter Punkt – gerade für ein Unternehmen, das nahezu in der ganzen Welt vertreten ist und sich deshalb geöffnet und einladend zeigen sollte. Aber wie seid ihr in diesem Zusammenhang auf das matte Schwarz gekommen?
Über den richtigen Farbauftritt haben wir sehr lange nachgedacht und konnten uns schließlich darauf einigen, dass die Zentrale durchaus nobel wirken darf. Das Schwarz nimmt sich zurück, ist zugleich aber sehr stark, was der Grundform des Quadrats entspricht. Vielleicht sind das nur gewohnte Bilder, vielleicht ist es aber auch wirklich so, dass das Quadrat diese Farbe einfach fordert. Unserem Gefühl nach war es jedenfalls Schwarz und nicht Silbergrau. Und selbst wenn wir uns für Weiß entschieden hätten, wäre es dadurch nicht billiger geworden, es hätte nur billiger ausgesehen.

Die Firmenzentrale befindet sich in einer Region, wo das Schöpfen aus dem Heimischen hoch geschätzt wird. Das Handwerk ist im Bregenzerwald sehr stark, auch eine gewisse Ehrlichkeit und Bodenständigkeit. In den Dörfern sieht man überall diese typischen Holzhäuser mit den Lamellen. Wie verortet sich das Gebäude in dieser Tradition?
Du kannst den Stadel nicht in die Hinterhöfe und auf die Plätze in der Stadt holen. Wir sehen dieses Firmengebäude nicht in der ruralen Bautradition und nicht in der gewachsenen Tradition von Handwerk und Baukunst. Wir sehen es in einer qualitativen Haltung und Ortsverbundenheit und somit einer Tradition auf einer anderen Ebene, wir sehen es im Kontext Rheintal, wo es eine starke Tendenz zur Verstädterung gibt. In wenigen Jahrzehnten wird das hier eine große Stadt sein, eine Metropolregion. In diesem Zusammenhang habe ich für Gebrüder Weiss kein Holz gesehen, das wäre auch für die Branche nicht stimmig. Wir haben jetzt stattdessen eine technische, ausgeklügelte, ehrliche Kiste mit interessanten Details. Eine Kiste, die was kann. Sie funktioniert reibungslos, genau so, wie es auch in der Logistik laufen muss.

In der Logistik geht es nicht zuletzt um die möglichst effiziente Nutzung von Fläche. Das steht wiederum in einem gewissen Kontrast zur Ausdehnung des Gebäudes, oder nicht?
Wenn man ein sehr wirtschaftliches Gebäude möchte, dann baut man lieber zwei Bürozonen mit einem Mittelgang, der zwei Meter breit ist – oder lieber nur einen Meter achtzig. Darauf macht man eine Wellblechfassade, und das lässt sich dann jederzeit linear erweitern. Die Ausdehnung der Fläche eröffnet dagegen eine Vielzahl möglicher Wege und Aufenthaltszonen. Und wenn das gut gemacht ist, entsteht automatisch der Mehrwert von Kommunikationsmöglichkeiten. Auf einem langen Gang willst du dagegen einfach nur schnell von A nach B und dann wieder zurück in dein Zimmer. In einer Landschaft mit mehreren Wegsystemen kommt es zu zufälligen und ungezwungenen Begegnungen, und diese Begegnungen führen zu einem besseren Kennenlernen der Menschen untereinander und zu mehr Kommunikation. Wenn Menschen besser kommunizieren, werden weniger Fehler gemacht und neue Dinge entstehen. Und es sind schlussendlich die Menschen, die das Unternehmen ausmachen.

Nun ist in der Architektur und überhaupt in gesellschaftlichen Debatten seit vielen Jahren schon das Stichwort Nachhaltigkeit groß in Mode, obwohl der Begriff schon 300 Jahre alt ist. Hat das Konzept für euch auch eine Rolle gespielt?
Bei uns gibt es immer Nachhaltigkeits-Themen, bei jedem Gebäude und bei jeder Aufgabe, die wir zu lösen versuchen. Aber das sieht jedes Mal anders aus, das basiert nicht nur auf irgendwelchen Zahlen, die man abgleicht. Vielmehr bemühen wir uns, dass die Investition immer möglichst vielen Menschen einen möglichst großen Nutzen bringt. Wir möchten etwas schaffen, das lange hält und lange gut aussieht und nicht ständig aufwendig repariert werden muss. Deshalb haben wir hochwertige Materialien verwendet, die robust und dauerhaft sind. Darüber hinaus funktioniert das Gebäude sehr gut im Unterhalt, es braucht trotz der großen Hülle sehr wenig Energie. Und was die Organisation der einzelnen Büros angeht, haben wir ein System gefunden, mit dem man sehr schnell auf neue Bedingungen reagieren kann, auch das ist nachhaltig gedacht. Ein Büro lässt sich innerhalb eines Tages umbauen, die Voraussetzungen dafür sind alle da. Die Zukunft kann – egal wie – kommen.

Andreas Cukrowicz wurde 1969 in Bregenz geboren und arbeitet seit 1992 mit Anton Nachbaur-Sturm zusammen. Seit 1996 betreiben die beiden das Büro Cukrowicz Nachbaur Architekten, dessen Arbeiten mit etlichen bedeutenden internationalen Preisen ausgezeichnet wurden, darunter der best architects award 2014 in Gold für das Vorarlberg Museum, der International Architecture Award 2012 für das Musikhaus Röthis, der Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit für das Gemeindezentrum St. Gerold und der Staatspreis Architektur sowie der best architects award 2008 für das Stadtbad Dornbirn. (Bild: Miriam Holzapfel)
(Bild: Adolf Bereuter für Cukrowicz Nachbaur Architekten)
(Bild: Adolf Bereuter für Cukrowicz Nachbaur Architekten)
Je nach Lichteinfall geöffnet oder geschlossen, immer aber schwebend über dem Verkehr: das Hauptquartier an der Bundesstraße. (Bild: Adolf Bereuter für Cukrowicz Nachbaur Architekten)

Wenn ich meine Kunden besuche, dann schauen die oft, mit welchem Auto ich bei ihnen vorgefahren komme. Denn natürlich ist das ein Statement. Lässt sich das für dich auf die Architektur übertragen?
Ach, die Deutschen immer mit ihren Autos (lacht). Ich bin ein Volvo-Fan. Der Volvo ist nicht ganz billig, aber in seinem Segment stehen Preis und Leistung in einem guten Verhältnis zueinander. Außerdem ist der Design-Faktor bei Volvo schon immer sehr wichtig gewesen, aber nicht so sehr im Vordergrund, dass er schreit. Die Gestaltung ist so selbst verständlich wie möglich, so dass man sie auch in 20 Jahren noch gerne anschauen mag. Und genau so möchte ich bauen.

Also unmodisch im eigentlichen Sinn?
Richtig. Wobei das Element Mode natürlich auch in der Architektur vorkommen darf. In 20 Jahren werden wir wahrscheinlich nicht mehr so bauen, wie wir heute bauen. Die Gebäude, die jetzt entstehen, sind Statements ihrer Zeit – aber hoffentlich so, dass sie dann immer noch gut und nicht schon bald wieder langweilig sind.

Du meinst, man wird in hundert Jahren sagen können, wann ein Gebäude wie das in Lauterach ungefähr entstanden ist, so wie man heute beispielsweise einen Bau aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts auch sofort erkennt?
Das wird man können, ja. Und ich finde nicht, dass Zeitlosigkeit unbedingt ein Qualitätsmerkmal ist. Für mich ist das nicht positiv behaftet. Ich bin der Meinung, dass jedes Ding ein Ausdruck seiner Zeit sein darf. Es geht um zeitgemäße gestalterische Elemente und Darstellungsweisen, natürlich auch um entsprechende technische Möglichkeiten. Jede Zeit hat gute Zeugen, und das soll auch so sein.

Dabei ist der Begriff der Zeitlosigkeit ja immer so positiv besetzt, man will damit vielleicht sagen, dass etwas schön ist jenseits von modischen Prinzipien.
Ich glaube, da spielt noch etwas anderes mit, nämlich der Wunsch, dass etwas nicht aufdringlich sein soll. Es kann aber dabei durchaus von seiner Zeit geprägt sein. Denn wenn man etwas machen möchte, das immer und für alle Zeiten gültig ist, läuft man sehr schnell Gefahr, langweilig zu sein. Man vermeidet dann vielleicht einfach nur eine Haltung. Ich bin deshalb nicht grundsätzlich gegen Moden. Zum Beispiel ist in der Architektur gerade Regionalität ein großes Thema, das Besinnen auf Tradition. Das finde ich gut, da habe ich gar nichts dagegen. Und es gibt noch einen anderen Aspekt: nämlich, dass etwas nicht altern darf – das ist schon eine seltsame Entwicklung. Ich glaube wir sollten uns unserer Vergänglichkeit bewusster werden und unsere gebaute Umgebung in einem ähnlichen Kontext betrachten.

Bei uns im Grafikdesign entstehen auch immer wieder einmal Arbeiten, die als schlicht oder reduziert bezeichnet werden, was ja durchaus etwas Gutes sein kann. Wenn die darüber hinaus aber einfach nichts anbieten, keine Geschichte, keine bestimmte Position – dann ist es total langweilig. Da wird dann eine Schrift benutzt, mit der man auf Nummer sicher gehen möchte, zum Beispiel die Helvetica. Und die setzt man dann linksbündig in Schwarz auf das Papier und verkauft das als zeitlos.
Genau. Dabei ist es einfach nur banal.

Ich vermute allerdings stark, dass es auch Moden gibt, die dir nicht gefallen. Beispielsweise ist ja seit einiger Zeit DeskSharing ein Trend, dass also Büros so gebaut werden, dass man nur noch mit dem Rollcontainer morgens reinund abends wieder rausfährt, dass es keine festen Plätze mehr gibt. Wie denkst du darüber? Brauchen wir nicht das Persönliche, den Kaktus auf dem Tisch und das Foto der Tochter an der Wand?
Schau, für uns sind die Mitarbeiter sehr wichtig, das sind alles Persönlichkeiten. Bei Einstellungen achten wir vor allem auf den Menschen, was für ein Typ jemand ist. Die Entwicklung zur maximalen Flexibilität halte ich unternehmerisch gedacht für spannend, aber menschlich gedacht für gefährlich und kurzsichtig. Ich bin der Meinung, dass man sich mit seinem Arbeitsplatz identifizieren muss, es muss passen, ich muss mich wohlfühlen, um mich der Arbeit und meiner Aufgabe öffnen zu können. Wenn ich aber keinen fixen Arbeitsplatz habe, sondern ständig alles ausgetauscht werden kann, dann entsteht sehr schnell der Eindruck und unweigerlich das Gefühl, dass auch ich als Mensch austauschbar bin. Und davon halte ich nichts. Als weiteres Gefühlsprodukt entwickelt sich auch die Beziehung zum Unternehmen, das dann natürlich genauso austauschbar wird. Ich selbst sehe immer wieder gerne die Zeichnungen meines Sohnes neben mir: »Für Papa«.


Andreas Uebele ist Kommunikationsdesigner und Professor für visuelle Kommunikation an der Hochschule Düsseldorf.

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