Im Gespräch mit Veera Sekaran

Der Pflanzenflüsterer

2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Metropolen leben. Klimawandel, Umweltzerstörung, Nahrungsknappheit und Wassermangel werden die Menschheit zunehmend beschäftigen, auch und gerade in schnell wachsenden urbanen Zentren. Wie lässt sich das Leben dort gesünder und schöner gestalten? Der Botaniker Veera Sekaran arbeitet in seiner grünen Werkstatt „Greenology“ daran, Lösungen für solche Probleme auszuarbeiten. Singapur ist sein Zukunftslabor. Veera war Gartenbau-Chef am Changi Airport, arbeitete in leitenden Positionen im Singapurer Zoo und der Nationalparkbehörde, bevor er sein eigenes Unternehmen gründete. Viele der berühmten „Living Walls“, die Hochhäuser in Singapur eine Art grüne Haut überziehen, sind sein Werk. Veera ist studierter Botaniker, mühelos kann der 54-Jährige die lateinischen Namen von 3.000 Pflanzen benennen. Aber er ist nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch Philosoph und Visionär.

Man nennt sie hier in Singapur den „Pflanzenflüsterer“. Wie kam das?
Als Dozent an der Universität habe ich meinen Studenten, die noch nie etwas mit Pflanzen zu tun hatten, eine Aufgabe gegeben: Schreibt mir ein Gedicht über irgendein Gewächs, das eine wichtige Rolle in eurem Leben spielte. Anfangs waren sie verunsichert, aber dann kamen sie alle mit ihren Texten. Manche haben beim Vortragen geweint, ich erinnere mich an ein chinesisches Mädchen, das schluchzte und von einem Baum in ihrem Hof erzählte. Es hat seine ganze Familie aufwachsen sehen, die Großeltern, die schon tot waren, die Eltern und schließlich auch sich selbst. Dem Mädchen wurde plötzlich bewusst, dass der Baum seine ganze Familiengeschichte begleitet hat, er war so etwas wie ein Testament. Am Ende der Vorlesung haben mir die Studenten dann ein T-Shirt mit der Aufschrift „The Plant Whisperer“ geschenkt, als Dank dafür, dass ich ihnen den Wert von Pflanzen nähergebracht und damit auch irgendwie ihr Leben verändert habe.

Sie schaffen „vertikales Grün“ oder „lebende Wände“. Aber sicher nicht nur aus ästhetischen Gründen, oder?
Als ich anfing, die grünen Wände zu entwickeln, entsprach das dem Platzmangel und den besonderen Verhältnissen in Singapur. Die Bäume konnten in den Häuserschluchten wegen des schlechten Lichts nicht wachsen, viele Pflanzen starben. Wir haben dann die Idee der „vertikalen Gärten“ aus Frankreich aufgegriffen und für die Tropen weiterentwickelt. Mit neuen Ideen und neuen Technologien. Das war für mich die Lösung: Das Grün zurück in die Stadt zu bringen mit all seinen Vorteilen: Die Pflanzen senken die Temperatur, binden den Staub und verbessern die Luftqualität, sie reduzieren Lärm. Und natürlich haben sie einen positiven Einfluss auf die Psyche der Menschen.

Sie betreiben ein ehrenamtliches Projekt, in dem Sie demenzkranke und behinderte Menschen mit Pflanzen arbeiten lassen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Ich habe viele Altenheime gesehen und oft ist es deprimierend, wie die Menschen in diesen vier Wänden liegen und aufs Sterben warten. Wenn man sie aber mit hinaus in die Natur nimmt, sie in der Erde wühlen lässt, sie daran riechen können, wenn sie Pflanzen umtopfen, dann weckt das Erinnerungen und zaubert ihnen ein Lächeln ins Gesicht. Auch mein autistischer Neffe, der bei mir vier Wochen ein Praktikum gemacht hat, hat einen riesigen Schub in seiner Entwicklung gemacht. Plötzlich war er für etwas Lebendiges – eine Pflanze – verantwortlich. Und das war offenbar wichtig.

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Veera Sekaran gründete Greenology 2008 und hat seitdem mit seinem Büro weit mehr als 15.000 m2 Wand in Singapur begrünt.

Grüne Wände sind typisch für Singapurs Stadtbild: Entlang eines Fußgängerwegs in Mediapolis, dem zentralen Stadtteil für Unternehmen aus der Medien- und Kommunikationsbranche.
An einem Wohnhaus in der Belmont Road

Und die singapurische Jugend? Ist sie leicht für den Gartenbau zu gewinnen?
Wissen Sie, in Asien ist erst mal jede Arbeit, bei der man sich die Hände schmutzig macht, jede Handarbeit oder der Umgang mit Erde, eher verpönt. Eltern raten ihren Kindern von dieser Arbeit oft ab. Sie setzen Gartenbau mit Landwirtschaft gleich. Also haben wir uns bei der Gründung von Greenology als „Urban Greening Specialists“ neu erfunden. Wir brauchen dafür inzwischen auch viele Elektriker, Mechaniker, Ingenieure, technische Kenntnisse sind gefragt, nicht allein das Wissen über Pflanzen. Jetzt sind die jungen Leute stolz, wenn sie nach Hause kommen und ihren Eltern erzählen, dass sie einen Beruf in dieser Branche haben.

Das klingt sehr anspruchsvoll. Kann man denn als Laie so eine grüne lebende Indoor-Wand selbst pflegen?
Klar, das geht. Unsere Systeme sind ausgeklügelt und gebrauchsfertig. Sie müssen sie nur einschalten. Man muss unsere Pflanzen nicht ständig austauschen, weil sie nach kurzer Zeit eingehen. Wir wollen etwas schaffen, was bleibt und gedeiht. Es sind Lebewesen. Ich habe einen Bekannten, der ist ein gestresster Anwalt. Jeden Abend freut er sich darauf, die Pflänzchen seiner grünen Wand zu zupfen und zu schneiden. Eine bessere Anti-Stresstherapie könne er gar nicht finden, sagt er.

Sie haben sich durch die Arbeit mit ihren Pflanzen selbst geheilt, als die Ärzte sie wegen einer seltenen Nervenerkrankung schon aufgegeben hatten. Wie war das möglich?
Ich kann es nicht erklären, aber es hat mit meinem Weg und meiner Verbindung zur Natur zu tun. Das hat mich aufrechterhalten und mir positive Schwingungen zum Leben und Überleben mitgegeben. Der Überlebensinstinkt einer Pflanze ist so stark, dass sie bei noch so widrigen Umständen alles daransetzen wird, zu überleben. Das sollte sich der Mensch zu eigen machen. Wir sind als Wesen beweglich, wir können Herausforderungen ausweichen, die Pflanze aber wird alles tun und kämpfen, um zu überleben. Das ist der Instinkt eines lebenden Organismus. Wenn wir diesen Instinkt verlieren, stirbt die Menschheit. Ich glaube, dieser Gedanke hat mich überleben lassen.

Sie erfinden immer wieder neue Systeme. Wie sieht ihre Vision für Singapur und für den Rest der Welt aus?
Ich freue mich auf den Tag, an dem ich ein nachhaltiges Habitat oder Ökosystem schaffen kann, in dem alles ferngesteuert miteinander kommuniziert. Daran arbeiten wir intensiv. Ich möchte ein Habitat schaffen, wo das ganze Heim mit Pflanzen ausgestattet ist, die Luftqualität, Lebensbedingungen und Psyche der Menschen zum Positiven verbessern. Meine Idee wäre, dass jeder Balkon, jedes Zuhause eine grüne Wand hat. Ein kleiner Schritt für jeden Einzelnen, aber eine Riesenwirkung fürs Ganze. So kann jeder zum Klimaschutz beitragen und unsere Welt in einen besseren Ort verwandeln.


Fernsehjournalistin Susanne Perras, geboren 1963, lebt mit ihrer Familie in Südostasien.

Oberlicht im Gebäude an der Duxton Road
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