Michael Wohlgenannt und Willibald Nigsch im Gespräch

»Dann ist bei mir halt fertig mit der Harmonie«

Gerade einmal 1,6 km liegen zwischen den beiden Gebrüder Weiss-Niederlassungen Lauterach und Wolfurt. Grund genug, die beiden Niederlassungsleiter Willibald Nigsch (Wolfurt) und Michael Wohlgenannt (Lauterach) zu befragen, wo Freundschaft aufhört und Konkurrenz beginnt.

Bei den Management-Meetings von Gebrüder Weiss sieht man euch und eure Kollegen aus der Region West immer an einem Tisch sitzen. Täuscht der Eindruck, oder habt ihr trotz aller Konkurrenz wirklich ein freundschaftliches Verhältnis?
Michael Wohlgenannt:
Freundschaft ist immer Definitionssache. Aber ich würde schon sagen, dass wir ein freundschaftliches Verhältnis pflegen. Das kommt wahrscheinlich in erster Linie daher, dass wir in der Region auf eine lange gemeinsame Erfolgsgeschichte zurückblicken und Neid eigentlich kein Thema ist.

Willibald Nigsch: Es liegt aber auch schlichtweg daran, dass der Kollege Mayr (Niederlassungsleiter Hall / Tirol) bei den Tagungen immer zwei Stunden früher da ist als alle anderen und einfach die Plätze für uns reserviert. Würde er das nicht tun, könnte ich mir auch vorstellen, mal an einem anderen Tisch zu sitzen. (lacht)

Unter euren Vorgängern soll die Stimmung dagegen alles andere als harmonisch gewesen sein.
MW:
Das stimmt schon. Das war aber eine ganz andere Zeit. Die standen in einem viel größeren Konkurrenzverhältnis.

WN: Mein Vorgänger hat als Repräsentant seiner Zeit natürlich noch einen anderen Führungsstil gelebt. Das Profitcenterdenken in den Niederlassungen war noch wesentlich stärker ausgeprägt als heute und dadurch auch die Rivalität. Wir arbeiten heute weiterhin als Profitcenter, aber zusätzlich mit übergeordneten Konzernzielen und -strukturen, und fahren damit recht erfolgreich.

Wie kam es zum Umdenken?
WN:
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Wirtschaft stark verändert: Heute ist alles viel stärker vernetzt als früher, also müssen auch Dienstleister gut miteinander verbunden sein, um Erfolg zu haben. Die Vorteile eines konstruktiven Miteinanders fallen doch zu schwer ins Gewicht, als dass sie noch infrage gestellt werden könnten.

Wie würdet ihr euer Verhältnis zueinander beschreiben?
MW:
Als ein gutes kollegiales Verhältnis.

WN: Ja, und zwar in dem Sinne, dass wir uns gegenseitig akzeptieren und die Leistung des jeweils anderen respektieren. Dazu kommt, dass wir natürlich auch gemeinsame Ziele definiert haben, an denen wir arbeiten. Wir haben die Region Vorarlberg in den letzten Jahren wesentlich verändert und die Organisation nun so aufgestellt, wie sie für die nächsten Jahre funktionieren kann.

Also kommt diese Kollegialität auch durch die richtige Struktur zustande.
WN:
Genau. Unsere Niederlassungen konkurrieren nicht mehr so stark, sondern ergänzen sich gegenseitig in ihrem Portfolio. Da ist der eine froh, dass er den anderen hat. Dennoch: Um zu einer gemeinsamen Struktur und gemeinsamen Zielen zu kommen, braucht es ja ein belastbares persönliches Fundament.

MW: Da ist unsere Situation schon besonders. Der Willi und ich sind seit Jahrzehnten im Unternehmen, und seit vielen Jahren sind wir gemeinsam im Management. Da gab es sehr viele Gelegenheiten, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.

WN: Und dieses vertrauensvolle Verhältnis belebt ja nicht nur unsere Zusammenarbeit. Es überträgt sich auch auf unsere jeweiligen Abteilungen. Und ohne Ressentiments in den jeweiligen Häusern kommt man einfach sehr viel schneller zu guten Ergebnissen.

Willibald Nigsch, Jahrgang 1956, kam 1978 als Speditionsangestellter im nationalen Sammelverkehr in Bregenz zu Gebrüder Weiss. Seit 1991 leitet er die Niederlassung in Wolfurt, seit 2008 auch den Standort Feldkirch-Bludenz. 2005 hat Nigsch außerdem die Geschäftsführung von GW Rail Cargo übernommen.
Michael Wohlgenannt, geboren 1959, hat als Auszubildender 1976 bei Gebrüder Weiss angefangen, war 1983 bei dem Gebrüder Weiss-Partner Davies Turner in London und danach Bereichsleiter Logistik. Seit 2005 leitet Wohlgenannt die Niederlassung Lauterach.

Was schätzt ihr aneinander?
MW:
Was ich am Willi schätze, sind seine Fachkompetenz und seine lange Erfahrung als Spediteur und Führungskraft. Man kann ihn gut einschätzen, er ist berechenbar – im positiven Sinne. Ich weiß einfach immer, woran ich bin bei ihm.

WN: Der Michael hat eine klare Art, die Dinge zu formulieren. Und fachlich passt es sowieso zwischen uns, er ist auch seit über 40 Jahren Spediteur. Weiterhin schätze ich seinen individuellen Stil, wie er seine Niederlassung führt. Der ist ganz anders als meiner.

Inwiefern?
WN:
Ich rede ein bisschen mehr, bin harmoniebedachter und bemühe mich immer, dass alle Beteiligten in einer Situation zufrieden sind.

Im Umkehrschluss: Der Michael kommuniziert nicht, braucht keine Harmonie und drückt die Dinge durch?
MW:
Das würde ich so nicht sagen. Ich nenne die Dinge halt beim Namen, kurz und knapp – und ich tu’ nicht lang umeinander. Wenn bei uns Führungskräfte wochenlang um ein und dasselbe Thema herumreden, dann ist bei mir halt fertig mit der Harmonie.

Was stört euch aneinander?
MW:
Eigentlich nichts. Und das ist jetzt keine Bauchpinselei. Aber ich muss überlegen, ob das früher einmal anders war.

WN: Wir haben unseren Modus gefunden und akzeptieren einander so, wie wir sind. Da wir uns über die Zeit nicht wesentlich verändert haben, gelingt das schon seit vielen Jahren reibungsfrei. Ich muss allerdings sagen, dass ich auch gar keine große Erwartungshaltung an den Michael habe – außer halt, dass er gute Ergebnisse schreibt.

Und wenn die Ergebnisse einmal nicht mehr so gut sind?
WN:
Na, dann bekommt er ein Problem! Dann müssen wir diskutieren. Andersrum verhält sich das natürlich genauso. Wir sind beide auf die Leistung des anderen angewiesen, wir wirtschaften in einen Topf. Was unser Chef von uns verlangt, das verlangen wir beide auch voneinander. Wir kontrollieren uns gegenseitig. Solange die Zahlen stimmen, sind alle zufrieden.

Gab es schon solche Krisensituationen?
WN:
Die Krise 2008/2009 hat uns natürlich beide in gleichem Maße getroffen. Aber auch damals konnten wir das gegenseitige Übereinkommen erzielen, trotz der massiven Einbrüche keine Mitarbeiter abzubauen. Heute zahlt sich das aus, und wir sind noch stärker als zuvor.

Wenn ihr mal für einen Tag die Rollen tauschen könntet – was würdet ihr tun?
MW:
Also, ich würde mir mal seine Anlagen ganz genau anschauen. Feldkirch und Bludenz kenne ich eigentlich zu wenig. Und du?

WN: Deine Anlagen kenne ich zur Genüge. Ich denke, ich sehe mich da eher auf der kommunikativen Ebene. Ich würde mal mit deinen Leuten reden, fragen, wie es läuft, wo der Schuh drückt.

Gibt es etwas, worum ihr den anderen beneidet?
WN:
Aus meiner Sicht als Spediteur halte ich das Aufgabengebiet des Kollegen Wohlgenannt mit seinen internationalen Landverkehren für etwas interessanter als meines. Ich bin für die nationalen Landverkehre verantwortlich und denke, dass mir ein stärkerer Austausch mit den internationalen Partnern durchaus Spaß machen würde, auch wenn mir bewusst ist, dass diese Verkehre durch das jeweilige Produktmanagement der einzelnen Partner heute viel stärker reglementiert sind als früher.

MW: Ich beneide den Willi eher darum, dass er vorwiegend mit GW-Häusern zusammenarbeiten kann. Die Arbeit mit unterschiedlichen Partnern aus verschiedenen Ländern macht zwar großen Spaß, bringt aber natürlich auch einige große Herausforderungen in puncto Integration mit sich. Die IT- Schnittstellen müssen stimmen, die Systeme müssen zueinander passen. Ich behaupte mal, dass man diese Hürden nicht nehmen muss, wenn man überwiegend mit GW-Häusern zusammenarbeitet.

In unmittelbarer Nähe zum Bodensee liegen seit den 80er Jahren die beiden Gebrüder Weiss-Niederlassungen Lauterach und Wolfurt in guter Nachbarschaft nebeneinander. In Lauterach, wo sich auch die Unternehmenszentrale befindet, beschäftigt die Niederlassung 220 Mitarbeiter und verfügt über 23.500 m2 Lagerfläche. Auf der anderen Seite der Autobahn in Wolfurt arbeiten 165 Mitarbeiter mit 13.800 m2 Lagerfläche.

Persönlicher gefragt: Wer hat denn den schöneren Arbeitsplatz von euch beiden?
MW: Also, das Büro vom Willi ist moderner. Meines ist Vollholz. Gefällt mir aber beides gleich gut.

WN: Aber ich schaue auf die Berge und habe deshalb den schöneren Ausblick!

MW: Das kannst du so nicht sagen. Ich schaue direkt auf die Zentrale. Was gibt es denn Schöneres?

WN: Viereckig. Schwarz. Zwölf Meter hoch. O.k. (lacht)

Seht ihr euch auch privat?
MW:
Eigentlich nicht. Manchmal gehen wir gemeinsam auf ein Altach-Match zum Fußball oder zum Eishockey bei den Bulldogs in Dornbirn.

WN: Aber nicht regelmäßig. Wenn wir unsere Lehrlinge für ihren Abschluss feiern, dann gehen wir gemeinsam mit unseren Damen hin.

MW: Unsere Frauen kennen sich schon auch, von diversen Geburtstagen.

Gemeinsam zum Fußball, gegenseitige Einladungen – klingt nicht gerade so, als ob ihr euch aus dem Weg geht.
Beide:
Nein, nein, das nicht …

WN: … aber besonders viele Gemeinsamkeiten haben wir nicht. Er fährt Motorrad, das mag ich nicht. Ich fahre Cabrio, das mag er nicht.

MW: Er geht in Kanada Ski fahren. Dafür wäre ich jetzt nicht der Typ. Ich bin nicht so der Weltreisende. O.k. ist alles, was ich mit dem Motorrad erreichen kann.

Wie muss man bei Gebrüder Weiss gestrickt sein, um Akzeptanz zu finden und Erfolg zu haben?
MW:
Das, was das Arbeiten bei Gebrüder Weiss besonders macht, ist die Handlungsfreiheit des Einzelnen. Jeder kann hier seine eigenen Ideen einbringen und genießt von Anfang an einen großen Vertrauensvorschuss. Wenn sich dann der Erfolg einstellt, kann diese Handlungsfreiheit auch auf Dauer erhalten bleiben, ohne allzu großes Hineinregieren von oben. Das motiviert. Man ist hier nach wie vor ein Unternehmer im Unternehmen.

WN: Das ist richtig. Dazu kommt, dass wir als unternehmerisch denkende Niederlassungsleiter zusätzlich von den geschäftspolitischen Entscheidungen dieses Konzerns profitieren. Gebrüder Weiss baut seit über 20 Jahren sein Netzwerk massiv aus. Für unsere exportorientierten Vorarlberger Kunden ist es natürlich attraktiv, wenn wir sämtliche Destinationen weltweit mit eigenen Standorten abdecken können.

Gebrüder Weiss hat gerade zahlreiche neue Standorte in Asien und Amerika eröffnet. Wie wird sich das Unternehmen eurer Meinung nach durch diesen Schritt verändern?
MW:
Ich denke, dass diese Expansion die konsequente Fortführung des Entwicklungskurses der letzten Jahre ist. Sie kommt auch zur richtigen Zeit, weil das Unternehmen ausreichend stabil und solide aufgestellt ist. Ich denke nicht, dass sich dadurch die Kultur groß verändern wird.

WN: Zum Erfolgsgeheimnis von Gebrüder Weiss gehört, dass man fähigen regionalen Managern einen hohen Entscheidungsspielraum einräumt. Wenn es uns gelingt, an diesem Modell festzuhalten, dann werden wir auch in Zukunft erfolgreich agieren können – in Vorarlberg genauso wie an jedem anderen Ort in der Welt.


Frank Haas ist Leiter der Markenstrategie und Kommunikation bei Gebrüder Weiss und Chefredakteur des Atlas.

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