Gernot Grömer im Gespräch
"Für ein Himmelfahrtskommando stehe ich nicht zur Verfügung!"
Ausgaben
Text
Fotos
ÖWF / Florian Voggeneder
Tags
Frank Haas im Gespräch mit Gernot Grömer über technologische Herausforderungen, triviale Probleme und die großen Chancen einer Mission zum Mars.
Herr Grömer, der Mars ist kein ideales Urlaubsziel: Es herrschen starke Temperaturschwankungen, es kommt zu Sandstürmen, es gibt kaum Sauerstoff und eigentlich auch kein Wasser. Was sollen wir da?
(lacht) Also, wenn es darum geht, am Strand zu liegen und einen Drink zu bestellen, dann ist der Mars der falsche Ort. Es gibt aber ein paar andere Gründe, die den Planeten für uns extrem interessant machen: Zum einen die Fragen, warum der Mars so ist, wie er jetzt ist, und ob es dort schon einmal Leben gab. Wir glauben nämlich, dass es Phasen gegeben hat, wo der Mars zumindest theoretisch bewohnbar war. Die Frage ist jetzt, ob er tatsächlich bewohnt wurde. Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. So gesehen bietet der Mars etwas, was jede gute Urlaubstour auch bieten sollte: ein Narrativ, eine Geschichte. Es gibt ein tolles Zitat von Ibn Battūta, dem Marco Polo der Arabischen Welt: „Reisen macht einen zuerst sprachlos und transformiert einen dann in einen Geschichtenerzähler.“ Mit anderen Worten: Wir wissen noch nicht hundertprozentig, was uns auf dem Mars erwarten wird und welche Überraschungen der Planet für uns bereithält. Und genau das ist der Grund, um dort hinzufliegen.
Das große Ziel ist also die bemannte Marsmission. Wie nah sind wir da dran?
Es gibt mehrere Raumfahrtagenturen weltweit, die sich mit dem Thema beschäftigen. Die Chinesen haben sich zum Beispiel 2033 als mögliches Flugdatum gesetzt. Außerdem gibt es einige private Initiativen, etwa Mars One mit Einweg-Missionen, wo man den Rest des Lebens auf dem Mars verbringen müsste. Das wird sicher nichts werden. Aber wenn ein Elon Musk sagt, er möchte innerhalb der nächsten zehn Jahre zum Mars fliegen, dann muss man das schon ernstnehmen. Er hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er spektakuläre Technologieentwicklungen einfach umsetzt, weil er den nötigen wirtschaftlichen Muskel dafür hat. Folgt man den Prognosen des Österreichischen Weltraum Forums (ÖWF), dann können wir davon ausgehen, dass wir spätestens in dreißig Jahren die erste Marsexpedition haben werden. Das bedeutet, dass derjenige Mensch, der den ersten Schritt auf den Roten Planeten setzen wird, in diesem Moment irgendwo als Zehnjähriger oder Zehnjährige in Bregenz oder in Peking oder in New York in die Volksschule geht. Fest steht: Wir fragen uns nicht mehr, ob wir zum Mars fliegen, sondern wann.
Die Reise selbst würde etwa ein halbes Jahr dauern. Aber wie sieht es mit der Rückkehr aus? Wie kommt man wieder weg?
Die Idee ist einfach: Wenn ein Gebrüder Weiss-Lkw nach Italien fährt, dann nimmt der nicht den Sprit für die ganze Reise mit, weil er im Zielgebiet eine Tankstelle hat, die ihn für die Rückreise versorgen können. Und so sehen wir den Mars: Wie eine große planetare Tankstelle. Aus der Atmosphäre dort kann man CO2 in Kohlenstoff und Sauerstoff aufspalten und mit mitgebrachtem oder vor Ort produziertem Wasserstoff Raketentreibstoff machen. Dafür müsste man zunächst eine Cargo-Mission ohne Menschen an Bord hinschicken, die vor Ort ein Rückkehr-Raumschiff mit leeren Treibstofftanks landet. Einige Monate lang kann dann Atmosphäre verarbeitet werden, bis die Treibstofftanks gefüllt sind und die Erde das Signal bekommt: We are ready! Und dann kommt ein kleineres, schnelleres und massearmes Raumschiff mit Besatzung. Wenn etwas schief geht, dann steigt die Besatzung ins Rückkehr-Raumschiff und fliegt direkt zurück. Wenn aber alles klappt, dann bleiben diese Menschen ein Jahr auf der Oberfläche, bevor sie dann mit diesem vollgeladenen Raumschiff wieder zurück zur Erde reisen können. Der Trick ist also: Man parkt das Rückkehr-Raumschiff bereits auf dem Mars, bevor die ersten Menschen kommen.
Gernot Grömer ist Gründer und Administrative Director des ÖWF. AMADEE-20 war bereits die 13. astronautische Mars-Simulation, die der promovierte Astrobiologe geleitet hat.
Das ÖWF ist einer von mehreren Playern weltweit und Sie arbeiten mit verschiedenen Weltraum-Instituten zusammen.
Genau, das ist alles sehr international. Wir heißen zwar Österreichisches Weltraum Forum aber bei uns sind deutlich mehr als zwanzig Nationen dabei. Unsere offizielle Arbeitssprache ist deshalb „be“, „broken english“. Bei der Analog-Mission in Israel sind zweihundert Leute aus fünfundzwanzig Nationen beteiligt und die Grenzen zwischen den Herkunftsländern verschwinden dabei sehr schnell. Trotzdem sind wir eine österreichische Einrichtung und machen seit gut fünfzehn Jahren etwas, wofür wir in Europa ziemlich einzigartig aufgestellt sind. Wenn wir den Vorsprung, den Österreich hier hat, wieder verlieren, weil Länder wie China viel mehr Ressourcen in vergleichbare Programme reinpumpen, dann wäre das sehr schade und schlecht für den Standort Österreich.
Gehen wir gedanklich noch einmal zurück auf den Mars. Wie sieht es mit der extremen Strahlenbelastung aus, die dort vorherrscht, gibt es dafür eine Lösung?
Das Strahlenproblem ist vergleichbar mit dem Problem, nur mit einer Badehose bekleidet in der Antarktis spazieren zu gehen. Das lässt sich technologisch bewältigen. Mehr Respekt habe ich vor den Problemen, die wir noch gar nicht kennen, vor den Überraschungen, die noch auf uns zu kommen. Wir müssen auf jedes Equipment-Teil zeigen und sagen können, was passiert, wenn genau diese eine Komponente versagt. In der Technologieentwicklung gilt deshalb das Mantra „fail fast, fail cheap, have a steep learning curve“. Das heißt, dass wir neue Technologien schon während der Entwicklung an die Grenze des Kaputtgehens treiben. Wenn ich nämlich weiß, wo sensible Stellen sind und wo ein Bauteil bricht, dann kann ich draus lernen. Aus meiner Sicht wäre es ein fataler Fehler, ohne 3D-Drucker auf den Mars zu fliegen. Das nächste Ersatzteillager ist im worst case schließlich 380 Millionen Kilometer weit weg. Und wir können nicht davon ausgehen, dass das Rückkehrraumschiff zu hundert Prozent funktioniert. Daran schließt sich eine Reihe von Konsequenzen an, angefangen bei der Frage, wie viel Klopapier ich mitnehmen muss, bis hin zu Fragen der Ernährung. Es sind also ganz basale, zum Teil triviale Probleme und Herausforderungen, die wir lösen müssen. Wir haben zum Beispiel unsere Hardware zu einer der vergangenen Missionen in zwei Schiffscontainern in den Oman transportiert. Die beiden Raumanzüge waren zusammen in einem Container und genau dieser eine Container ist bei einem Sturm auf See beschädigt worden. Daraus haben wir gelernt, dass wir die beiden Raumanzüge lieber auf zwei Container verteilen, damit wir mit einem Anzug weiterarbeiten können, wenn der andere verloren geht. Wenn man das einem erfahrenen Spediteur erzählt, dann sagt der natürlich: Hey, das hätte ich euch auch schon vorher sagen können.
Trotz allen Herausforderungen mangelt es nicht an Bewerbungen für eine Reise zum Mars. Wie muss der ideale Raumfahrer oder die ideale Raumfahrerin aus Ihrer Sicht beschaffen sein?
(lacht) Der Science-Fiction-Autor Robert Heinlein hat gesagt: Ein guter Astronaut muss in der Lage sein, ein Computerprogramm zu schreiben, ein Hähnchen zu grillen, einen guten Witz zu erzählen, einen Knochenbruch zu schienen und gleichzeitig eine tolle Geschichte schreiben zu können. Das heißt, anders als bei Robotern, die hochspezialisierte Leistungen vollbringen müssen, wissen wir beim Menschen gar nicht immer genau, was er alles kann. Für komplexe Missionen brauche ich Generalisten. Es reicht nicht aus, Pilotin zu sein, man muss zusätzlich in der Lage sein, eine Reparatur an einem Lebenserhaltungssystem durchzuführen oder ein tröstendes Gespräch mit einem Kollegen zu führen, der depressiv wird. In der Psychologie spricht man hier von sogenannten Alpha-2-Charakteren. Das sind Leute, die vom Naturell her eher der ruhige Bastler-Typ sind, die aber im Notfall einen Schalter umlegen und einen Kommandobefehl erteilen können.
Ist ein Team von fünfundzwanzig Alpha-2-Typen aber nicht auch ein bisschen zu homogen?
Natürlich, wir versuchen ein Team deshalb möglichst komplementär zu besetzen. Alpha-2-Typen sind sich untereinander nicht in jeder Hinsicht ähnlich. Bei der Mission in Israel jetzt haben wir sechs Analog-Astronautinnen und Astronauten im Team – das ist so eine typische Mannschaftsgröße, mit der wir auch für den Mars rechnen. Die anderen Teammitglieder sind On-site-Support außerhalb der Isolation und die müssen auch zusammenpassen. Bei der Auswahl prüfen wir zunächst Select-out-Kriterien: Wer zum Beispiel Herzrhythmusstörungen oder eine psychiatrische Defizienz hat, ist draußen. Dann gibt es Select-in-Kriterien: Wenn jemand in einem Bereich eine besonders hohe Kompetenz hat. In unserem Fall sind wir so auf einen Pool von 30 Leuten gekommen. Danach wird geschaut, wie die Leute untereinander passen. Wir wählen nämlich nicht die Einzelpersonen aus, sondern Teams. Und da gibt es gewisse Strategien, angefangen mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis. Gemischte Teams funktionieren auf lange Sicht einfach viel, viel besser. Diesen Pool an Leuten setzten wir dann draußen im Feldtraining irgendwo in den Bergen in Österreich in irgendeiner Schlucht aus und sagen: Überlebt! Dieser Versuch wird natürlich beobachtet, und da sieht man dann, dass es Leute gibt, die wir falsch eingeschätzt haben, die vielleicht doch keine guten Teamplayer sind. Und wer diese Stufe ebenfalls erfolgreich durchlaufen hat, kommt in den kleinen Pool von zertifizierten Analog-Astronauten, aus dem dann die jeweiligen Crews für die Missionen zusammengestellt werden. Also – es ist ein ziemlicher Aufwand.
Was können wir in der Corona-Krise von zertifizierten Analog-Astronautinnen und Astronauten lernen? Sind die nicht auch Meister der Isolation?
Uns sind in der Krise von den Medien tatsächlich die Türen eingelaufen worden. Analog-Astronauten waren da sehr begehrte Interviewpartner für die Bewältigung von Stress. Und es gibt dafür einen ganzen Blumenstrauß an Techniken: Der Klassiker ist ein strukturierter Tagesablauf. Also lieber nicht den ganzen Tag unrasiert im Pyjama vorbeibringen, lieber rasieren, auch, wenn man nicht rausgeht. Dann: Ein Ziel setzen. Bei uns ist es die Flugplanung, Gesteinsproben entnehmen und so weiter. Aber das kann man auch auf einen ganz normalen Alltag übertragen und sich konkret etwas vornehmen, was dann auch erledigt wird. Hilfreich ist außerdem ein Buddy-System mit anderen Menschen, die vielleicht ähnliche Erfahrungen durchmachen und an deren Hand man durch eine Krise geht. Das ist in unserem Fall abgebildet durch die Leute im Mission-Support-Centre, die gemeinsam mit den Analog-Astronauten trainiert haben und persönliche Beziehungen zu ihnen aufgebaut haben.
Neben der Pandemiebekämpfung beschäftigt uns Menschen gerade auch sehr der Klimaschutz. Inwiefern bringt uns die Erforschung des Weltraums hier weiter?
Da gibt es viele Aspekte. Zum einen ist der Mars für uns im Prinzip ein Modellplanet mit 95 % CO2-Atmosphäre. Er ist wegen des Treibhauseffektes um 19 Grad wärmer, als er eigentlich sein sollte. Auch die Venus ist CO2-dominiert und der heißeste Planet im Sonnensystem. Aufgrund dieser Beobachtungen hat man den Effekt von CO2 auf die Erdatmosphäre überhaupt erst entdeckt – viele wissen gar nicht, dass die ganze Klimadebatte sich eigentlich aus der Planetologie entwickelt hat. Allgemein ist die Raumfahrt ein hervorragendes Monitoring Tool für Erdbeobachtungen, für die Klimaentwicklung, die Wetterentwicklungen und die Folgen des Klimawandels. Es gibt einfach keinen besseren Aussichtspunkt auf unseren Planeten als von einer Satellitenplattform in der Erdumlaufbahn aus. Zum anderen bietet der Mars uns ein Studienmodell beispielsweise für Extremeffekte. Auf dem Mars können wir beobachten, was passiert, wenn es extrem viel CO2 gibt. Unsere Forschung wirkt vielleicht weit weg, aber sie hat auf der Erde einen konkreten wissenschaftlichen Nutzen.
Das heißt, wir sollten lieber früher als später zum Mars fliegen?
Ja. Und dafür gibt es wirtschaftliche Gründe, es gibt Gründe, die in der Technologieentwicklung liegen, es gibt wissenschaftliche Gründe und es gibt geopolitische Gründe: Nationen, die in der Raumfahrt kooperieren, führen keine Kriege gegeneinander. Außerdem haben wir die Ressourcen und wir haben die Leistungsfähigkeit. Das jährliche österreichische Raumfahrt-Budget entspricht etwa hundert Meter Autobahnneubau, man muss das mal in Relationen setzen. Mit drei Monaten weniger Zweiter Irakkrieg hätten wir uns eine vergoldete Marsmission leisten können. It’s there, wir können es. Ich glaube, dass wir die letzte Generation sind, die den Mond und den Mars als unbesiedelten Himmelskörper kennen. Unsere Enkelkinder werden in einer Welt aufwachsen, wo eine Mondstation genauso Alltag sein wird, wie für uns eine Antarktisstation.
Würden auch Sie die Erde einmal verlassen?
Wenn ich mir zuerst ein klares Bild von der verwendeten Technologie und den Leuten, die mitfliegen, machen dürfte: ja. Sie würden schließlich auch nicht mit jedem beliebigen Arbeitskollegen in einen Wohnwagen steigen, und darin ein halbes Jahr verbringen. Außerdem müsste ich eine realistische Chance sehen, wieder zurückzukommen. Für ein Himmelfahrtskommando stehe ich nicht zur Verfügung.
Frank Haas ist Leiter Markenstrategie und Kommunikation bei Gebrüder Weiss – und als Chefredakteur verantwortlich für den ATLAS.