Spezialwissen
Wissen auf Wanderschaft
Durch Migration und Völkerwanderung hat sich manche Handwerkstechnik und manche Kunst weltweit verbreitet. Bis heute haben Reisende und Ausgewanderte ihr Spezialwissen im Gepäck und geben es anderswo weiter.
Nadav Shoshan
40 Jahre alt, aus Israel,
Krav-Maga-Trainer und Leiter einer Impact-Gruppe in Deutschland
Als ich zwölf Jahre alt war, wollte ich eigentlich mit Judo beginnen. Aber in meiner Heimatstadt in Israel wurde das gerade nicht angeboten. Also entschied ich mich für Krav Maga, ein israelisches Selbstverteidigungssystem. Jede*r kann die Technik lernen, egal ob groß, klein, kräftig oder zart, denn sie basiert auf natürlichen, instinktiven Körperbewegungen und Reaktionen. Im Wesentlichen sind es nur fünf bis sechs Bewegungen. Die können alle ausführen, das ist das Besondere an dieser Sportart. Und das gefällt mir so daran.
Als Kind wollte ich zuerst Chirurg werden, dann Tierarzt, Schauspieler, Screenwriter – ich hatte viele Ideen. Während meines Studiums habe ich verschiedene Jobs gemacht, aber mein Herz schlug immer für Krav Maga. Ich hätte jedoch nie gedacht, dass ich wirklich davon leben könnte.
2010 gründete ich schließlich in Haifa meine eigene Schule und bin dann 2014 mit meiner Frau nach Deutschland gezogen. Wir waren neugierig auf ein Leben außerhalb Israels, denn das Leben dort ist schon sehr speziell. Da meine Frau dort eine Stelle bekommen hat, sind wir nach Mannheim gezogen. Ich habe hier die Impact Gruppe gegründet, die ich als Head Instructor leite. Meine Schüler*innen sind zwischen 5 und 57 Jahren. Außerdem bilde ich andere Trainer*innen aus, hauptsächlich darin, wie man Kinder unterrichtet. Dafür bin ich normalerweise viel unterwegs, ich war unter anderem schon in Tschechien, England, Trinidad und Tobago und Australien und überall habe ich tolle Menschen getroffen. Wenn ich unterrichte, lerne ich im Dialog mit den angehenden Trainer*innen selber ganz viel. Ich möchte mich als Trainer weiter verbessern, dabei hilft mir dieser Austausch sehr. Und ich möchte meine Schule vergrößern, sodass ich noch mehr Leute erreichen kann, die durch das Training Selbstbewusstsein gewinnen und lernen, gesünder zu leben.
Protokoll: Imke Borchers
Dr. med. Maya May Sian Oei
42 Jahre, aus Deutschland,
Fachärztin für Dermatologie, Venerologie und Traditionelle Chinesische Medizin
Aufgewachsen bin ich in Deutschland, in einer Arztfamilie mit indonesisch-chinesischen Wurzeln. Meine Eltern sind in der klassischen Schulmedizin beheimatet, und somit war mein Weg in die Medizin bereits vorgezeichnet. Ich arbeite sowohl als Fach.rztin für Dermatologie als auch als Ärztin für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) mit Akupunktur und Kräutern. Als Arztin und als Mensch stehe ich für eine sinnvolle Verbindung von verschiedenen Welten, die man auf den ersten Blick vielleicht gar nicht zusammenbringen würde. Dabei liegt in der Kombination von scheinbaren Gegensätzen eine große Kraft. Oft ist es ja so, dass eine ganzheitliche Betrachtung der menschlichen Gesundheit von der Schulmedizin abgetrennt ist. Man geht entweder zu einem Heilpraktiker oder in eine Arztpraxis. Ich aber bin in beiden Bereichen ausgebildet und nutze die unterschiedlichen Herangehensweisen gleichermaßen, je nachdem welche Beschwerden vorliegen. Schon während meines Medizinstudiums in Deutschland habe ich eine Ausbildung in Traditioneller Chinesischer Medizin gemacht und bilde mich darin bis heute bei Lehrerinnen und Lehrern aus der ganzen Welt fort, auch in China. Die Erfahrungen, die ich dabei mache, stehen in ständigem Austausch mit meiner Tätigkeit als Dermatologin. So habe ich mich zum Beispiel auf Anti-Aging-Akupunktur spezialisiert.
Die Verbindung von traditioneller chinesischer Medizin mit Dermatologie ist noch ziemlich selten und für mich hat sich damit ein Traum erfüllt. Es ist so wichtig, dass wir alle regelmäßig über den Tellerrand blicken und nicht zu Fachidioten werden, die nur eine einzige Sache kennen. Deshalb gebe ich mein Wissen wahnsinnig gerne weiter, in erster Linie natürlich an meine Patient*innen, die mich an ihrem Leben teilhaben lassen, aber auch an meine Arzthelferinnen und Kosmetikerinnen und natürlich an andere Ärzt*innen. Allen möchte ich vermitteln, wie fruchtbar es sein kann, eine Art Lebenspflege zu betreiben und eine wertschätzende Haltung sich selbst und anderen gegenüber zu kultivieren, die uns insgesamt glücklicher macht. Und damit auch gesünder.
Protokoll: Miriam Holzapfel
David Arnórsson,
40 Jahre, aus Island,
Gründer des Artic Bakehouse in Prag
Am Anfang kam ich mir hier tatsächlich vor wie ein Kind auf dem Abenteuerspielplatz: dieses Mehl, das es hier in Tschechien gibt! Direkt aus der Steinmühle, aber vor allem gewonnen aus einem so guten Getreide, das bei uns in der isländischen Natur einfach nicht wachsen kann. Ich habe das Backhandwerk in Reykjavík von Jahrzehnten gelernt, und dieses böhmische Mehl ist für mich so etwas wie ein wahrgewordener Traum.
Als ich das erste Mal nach Prag gekommen bin, hat mir die Stadt gleich gefallen. Und ich habe gemerkt: Hey, hier wäre der perfekte Platz für gutes Brot! Ich habe damals Supermarktbrot gekauft, den Laib für einen knappen Euro, aber das kann man wirklich kaum essen, es schmeckt nach Papier. Echte Bäckereien gab es zu der Zeit kaum. Vor drei Jahren, habe ich dann hier zusammen mit einem isländischen Freund das Artic Bakehouse eröffnet.
In unserem Laden auf der berühmten Prager Kleinseite wurde vorher Tiernahrung verkauft. Ich sah das Haus, ein paar Schritte von der Moldau entfernt, und war gleich begeistert. Ein Jahr lang haben wir zu zweit alles hergerichtet – wir hatten ein knappes Budget, deshalb haben wir selbst Hand angelegt. Für die Eröffnung habe ich neben unserem Brot ein paar traditionelle isländische Spezialitäten gebacken: Zimtschnecken mit Vanilleüberzug, Klaina, das sind frittierte Teilchen mit Kardamom. Und natürlich Ástarpungar, Teigbällchen mit Rosine, die wir hier als Love Balls verkaufen, den Namen kann ja sonst niemand aussprechen. Eigentlich war mein Plan, dass ich die Leute davon einfach probieren lasse, quasi als Gag zur Eröffnung. Aber die Rezepte schlugen dermaßen ein, dass ich auch diese süßen Teilchen seither massenhaft produziere.
Bei aller Freude über das böhmische Mehl fehlt mir aus Island doch eins: die Butter. So eine phantastische Butter wie bei uns daheim gibt es einfach nirgendwo anders.
Protokoll: Kilian Kirchgeßner
David Zimmer
33 Jahre, aus Deutschland,
Koch und Restaurantbesitzer in Südkorea
Zusammen mit meiner Frau Mina habe ich vor anderthalb Jahren unser Restaurant Baden.Baden hier in Gwangju im Süden der koreanischen Halbinsel eröffnet. Obwohl wir beide schon langjährige Erfahrung in internationalen Küchen gesammelt haben, war es für uns beide das erste Mal ein eigenes Restaurant zu haben.
Nach Korea hat es uns verschlagen, weil meine Frau Koreanerin ist. Wir haben uns in Australien kennengelernt. Danach haben wir dann einige Zeit gemeinsam in Deutschland verbracht, in Baden-Baden, meiner Heimatstadt, wo ich ursprünglich auch meine Ausbildung zum Koch begonnen habe.
Ich denke was unser Restaurant besonders macht ist die Kombination aus dem kulinarischen Hintergrund meiner Frau und mir, die Verschmelzung der asiatischen und französisch-deutschen Einflüsse. Darüber hinaus machen wir im Baden.Baden noch fast alles selbst. Angefangen vom Zerlegen von Fleisch und Fisch bis hin zu eigenen Soßen und Nudeln. Sowas wird gerade in Korea immer seltener, aber für mich ist das ein wichtiger Teil der Arbeit. Denn es geht nicht nur um die Zubereitung, sondern eben auch um den gesamten Umgang mit den Lebensmitteln. Wenn wir nicht gerade kochen, sind wir oft auf den lokalen Märkten auf der Suche nach besonderen Zutaten und Inspirationen für neue Gerichte.
In ein paar Monaten kommt unser erstes Kind auf die Welt und vielleicht müssen wir hier dann erstmal eine Pause einlegen. Danach könnte ich mir ein kleineres Restaurant vorstellen, das wäre dann etwas familienfreundlicher und man hätte auch mal Zeit, kleine Koch-Workshops zu machen für interessierte Koreaner*innen. Mal sehen was die Zukunft bringt.
Protokoll: Anton Scholz
Tranh Thanh Tung,
31 Jahre, aus Vietnam
Restaurantbetreiber in Tschechien
Meine Großmutter gehört zur alten Generation: Seit ich mich erinnern kann, ist es ihr wichtig, Traditionen weiterzugeben. Ich bin in Vietnam bei ihr aufgewachsen, weil mein Vater zu der Zeit schon in Tschechien gelebt hat, um hier für uns etwas aufzubauen. Als ich 13 Jahre alt war, bin ich mit meiner Mutter nach Europa nachgezogen. Im Gepäck hatten wir das Rezept für die traditionelle vietnamesische Pho-Suppe – mit allen den Feinheiten, die uns meine Oma beigebracht hatte.
Meine Familie stammt aus Nam Dinh. Das ist die Stadt, in der die Pho-Suppe vor langer Zeit erfunden wurde. Hier in Tschechien kannte sie noch kaum jemand, als ich vor 18 Jahren hierher kam. Meine Familie trug dazu bei, etwas daran zu ändern: Wir gründeten in Prag das vietnamesische Restaurant Pho Family und gehörten damit zu den Pionieren. Wir haben den Tschechen beigebracht, wie großartig unsere Gerichte schmecken. Viele kamen auf den Geschmack und inzwischen gibt es vor allem in Prag überall vietnamesische Bistros und Restaurants, die auf den Zug aufgesprungen sind.
Das Erfolgsgeheimnis einer guten Pho-Suppe ist die lange Vorbereitungszeit. Wir kochen die Brühe mindestens 24 Stunden in einem speziellen riesigen Topf. Da kommen Gewürze wie Lauchringe, Koriander, Minze und Chilli rein und vor allem Knochen von Rind und Schwein. Wenn sie lange kochen, geben sie von ihrer Süße etwas an die Brühe ab; das steckt hinter dem markanten Geschmack von Pho. Und dann servieren wir sie mit Reisnudeln. Bei uns im Restaurant bieten wir auf unserer Wochenkarte immer wechselnde vietnamesische Gerichte an, damit die Gäste die Bandbreite unserer Küche kennenlernen. Obwohl das gut ankommt, bleibt Pho mit Abstand das am meisten bestellte Gericht bei uns – auch heute noch.
Protokoll: Kilian Kirchgeßner
Samuel Odermatt,
40 Jahre, aus der Schweiz
Motor- und Kleingerätemechaniker in Australien
Als Kind schwärmte ich von Afrika – und eigentlich von allen Ländern, die weit weg waren. Als mein Onkel nach Guatemala zog, war ich 14 und wollte ihm sofort folgen. “Landmaschinenmechaniker braucht man überall in der Welt”, sagte er mir, und darum habe ich dann eben diese Ausbildung angefangen. Allerdings brach ich mir mittendrin beim Snowboarden drei Wirbel und musste umsteigen auf Motor- und Kleingerätemechaniker. Nach der Lehre flog ich nach Neuseeland zum Englisch lernen, später nach Guatemala, Kalifornien, Japan, Australien und Brasilien. Arbeit zu finden war nie ein Problem. Die Branche ist sehr spezialisiert, aber meine Ausbildung in der Schweiz war wirklich vielseitig: Wir lernten neben den mechanischen Grundlagen auch Hydraulik, Elektronik und Schweißen. Das wird hier in Australien nicht so vermittelt wie in der Schweiz. 2010 sponserte mich eine Rasenmäher-Firma in Sydney als Fachkraft und ich konnte australischer Staatsbürger werden. Und so bin ich hier schließlich geblieben und lebe bei Port Macquarie zwischen Kängurus und Küste. Mein jetziger Chef suchte über ein Jahr nach geigneten Mitarbeitern. Ähnlich war es auch, als ich auf Reisen war: Egal wo ich hinkam, ich fand dank meiner Kenntnisse immer schnell einen Job.
Protokoll: Julica Jungehülsing