Wolfram Senger-Weiss im Gespräch

Den Spirit erhalten

​​​​​​Wolfram Senger-Weiss ist seit 2005 im Vorstand von Gebrüder Weiss und tritt ab 2019 die Nachfolge von Wolfgang Niessner als Vorsitzender des Vorstands an. Gemeinsam mit seinem Bruder Heinz Senger-Weiss sowie Peter Kloiber und Jürgen Bauer, dem Newcomer im Vorstand, liegt es nun an ihm, das Unternehmen in eine neue Ära zu führen. Wo geht die Reise hin?

Herr Senger-Weiss, mit welchen Gefühlen blicken Sie Ihrer neuen Aufgabe entgegen?
Schauen Sie, als Mitglied einer der Eigentümerfamilien begleitet mich das Thema »Gebrüder Weiss« schon von klein auf. Ich bin nicht die erste Generation, die hier Verantwortung trägt, sondern wir stehen hier als Familie in einer langen Tradition. Ich übernehme nun eine wichtige Rolle und danke für das Vertrauen. Ich gehe mit viel Freude und Zuversicht in diese Phase, habe aber durchaus Respekt vor der Aufgabe – und ich bin damit nicht allein: Auch andere Familienmitglieder haben wichtige Funktionen für eine wirkungsvolle Corporate Governance übernommen.

Das lange Engagement Ihrer Familie im Unternehmen lässt sich bis in das ausgehende Mittelalter zurückverfolgen. Spüren Sie da so etwas wie einen dynastischen Druck?
Unsere Eltern haben unsere berufliche Orientierung immer offengelassen, aber man macht sich den Druck gewissermaßen selber. Wobei ich betonen möchte, dass die Führung dieses Unternehmens natürlich nicht an mir alleine hängt. Wir sind ein gutes Team in der Geschäftsleitung, wir haben ein eingespieltes Management und viele wunderbare Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hervorragende Leistungen erbringen und ebenfalls eingeladen sind, sich einzubringen.

Worauf legen Sie in der Zusammenarbeit besonderen Wert? Was muss man mitbringen, um Teil des orangen Teams zu sein?
Was mir wichtig ist, kann man vielleicht mit den Tugenden eines Kaufmanns umschreiben: ehrbar, ehrlich, menschlich sein und den Leuten in die Augen schauen können. Das ist eine unglaublich wichtige Qualität in einer Welt, die immer oberflächlicher wird. Mit diesen Eigenschaften können wir uns als Gebrüder Weiss auch differenzieren. Und jeder, der diesen Weg mitgehen kann und mag, ist bei uns herzlich willkommen.

Also »Vertrauen geht vor Geschäft«, wie es ihr Vater Paul Senger-Weiss einmal formuliert hat?
Es ist einfach ein grundsätzlicher Zugang: Wir leben mit Dienstleistern, wir sind Dienstleister. Wir bewegen uns in einem Geflecht aus Abhängigkeiten. Von daher ist es in geschäftlichen wie auch in privaten Beziehungen wichtig, die Dinge so zu lösen, dass alle Beteiligten erhobenen Hauptes daraus hervorgehen können.

Haben Sie das Gefühl, dass Ehrlichkeit und Ehrbarkeit momentan hoch im Kurs stehen?
Gesellschaftlich viel zu wenig. Hoch im Kurs steht der Populismus, die Pflege des Egos, Selbstverwirklichung. Das Achten auf den anderen, das Suchen nach dem Gemeinsamen ist leider in den Hintergrund geraten.

Kann Gebrüder Weiss diesem Trend etwas entgegensetzen bzw. sich selbst dagegen behaupten?
In bescheidenem Rahmen durchaus. Wir können mit unseren 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schon ein Multiplikator sein. Man kann nie die ganze Welt verändern, aber was man tun kann, das soll man tun. Dann wird die Welt zumindest ein kleines Stück besser.

Sie haben einmal bei anderer Gelegenheit davon gesprochen, dass Sie – ähnlich wie Ihr Vorgänger Wolfgang Niessner – eine etwa 15-jährige Amtszeit ansteuern. Welche Herausforderungen stellen sich Ihnen auf diesem Weg?
Vielleicht zuerst einen kurzen Kommentar zu den 15 Jahren: Ich bin nach deren Ablauf Anfang 60 und das ist aus meiner Sicht ein passendes Alter, um einen Abschluss in dieser Funktion zu finden. Aber zurück zur Frage: Wir müssen in unserer Marktpositionierung einen weiteren Schritt gehen. Produktionswege und Logistikketten werden sich verändern. Individualisierte Logistikkonzepte werden unsere Branche sehr stark fordern. Wir werden auch eine Antwort auf die ökologische Frage geben müssen. Ich bin zwar der Meinung, dass wir auch in 15 Jahren noch mehrheitlich mit fossilen Kraftstofen unterwegs sein werden, aber ich sehe doch viele erfreuliche Ansätze und bin überzeugt, dass die Alternativen dann eine Rolle spielen.

Gebrüder Weiss ist in den vergangen Jahren auch geografisch gewachsen und ist heute in 30 Ländern weltweit präsent. Sind weitere Expansionen in Sicht?
Ich glaube, wir decken die wichtigen und interessanten Märkte gut ab – was nicht heißt, dass es nicht noch gewisse Arrondierungen geben kann. Ich setze stark auf die weitere Entwicklung Richtung Zentralasien, auch liebevoll »Seidenstraße« genannt. Wir dürfen uns keine Wunder erwarten, aber es gibt Gebrüder Weiss die Möglichkeit – ähnlich wie uns das in Südosteuropa gelungen ist –, als Seidenstraßen-Experte einen weiteren USP aufzubauen. Parallel dazu müssen wir natürlich die großen Märkte, in die wir gerade gegangen sind, vor allem in den USA, weiterentwickeln.

Stichwort Seidenstraße: Nachdem das Interesse der Öffentlichkeit an dem Projekt lange Zeit gering war, gibt es nun auch zahlreiche mahnende Stimmen, die eine Übervorteilung Europas durch den mächtigen chinesischen Partner sehen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Die Seidenstraße wurde ja dankenswerterweise nur durch das große Engagement der Chinesen überhaupt erst wach geküsst. Und ich denke, es werden sowohl die beiden Brückenköpfe China und Europa als auch die Länder dazwischen am Ende von dieser Entwicklung profitieren – die im Übrigen auch gar nicht aufzuhalten ist. In diesem Sinne hat die EU jetzt nur noch zu entscheiden, ob sie mitbestimmen oder getrieben sein will. In der Vergangenheit waren wir leider, auch was die Gestaltung unserer transatlantischen Beziehungen angeht, viel zu oft die Getriebenen. Es gibt eben auch in Europa noch lange keine gemeinsame Linie, stattdessen dominieren die Partikularinteressen einzelner Staaten.

Also, keine Angst vor der gelben Welle?
Nein. Ich bin mir nicht sicher, ob man das wirklich vergleichen kann, aber vor 20 oder 30 Jahren hatten wir in Europa ähnlich lautende Befürchtungen, was Japan angeht. Und auch diese sind nicht eingetreten. Ich denke, Europa hat viel zu bieten und ist eine besondere Region auf dieser Welt. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Stärke erhalten und uns behaupten können.

Berufsbedingt kommen Sie viel herum. Wo sind Sie besonders gerne?
Ich bin gerne in Österreich. Ich finde, hier kann man gut leben. Österreich ist besser als sein Ruf, der im Ausland leider nicht immer der beste ist. Aber genauso gerne bin ich unterwegs. Ich habe in Asien und in den USA gelebt und mich dort sehr wohlgefühlt. Trotzdem weiß ich, dass mein Zuhause Europa ist, hier möchte ich am liebsten leben.

Speziell ist Ihr Lebensmittelpunkt Wien ...
Ich bin in Vorarlberg aufgewachsen, wo es mich natürlich oft und gerne wieder hinzieht. Aber hier in Wien ist meine Familie, hier gehen unsere Kinder in die Schule. Hier lebe ich gerne.

Was die meisten Länder heutzutage gemeinsam haben, ist der Hang zu populistischen Entscheidungen. Macht Ihnen das Angst?
Schon. Leider sind auch die modernen Kommunikationsformen, so sehr ich diese auch schätze, Katalysatoren in diese Richtung. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass diese neuen Technologien natürlich auch Trends zulassen, die man sehr begrüßen kann. Mir kommt im Zusammenhang mit dem Brexit so eine jugendliche Initiative in den Sinn: »Let’s hug a Brit«. Hier werden, sicherlich augenzwinkernd, Gräben überwunden, die der Populismus aufgerissen hat. Ich glaube, dass für Menschen Grenzen immer unwichtiger werden. Das würde den Populisten auch den Nährboden entziehen.

Welche Bedeutung haben Grenzen für Sie persönlich?
Ich bin sehr stark unter dem Einfluss von Grenzen in Vorarlberg aufgewachsen. Vor der EU war man da eingegrenzt in ein sehr kleines Land. Grenzen beengen, reduzieren den Spielraum und die Möglichkeit für Visionen. Geografische Grenzen bedingen manchmal auch Grenzen im Denken. Andersrum brauchen wir natürlich alle mentale Grenzen in unserem Zusammenleben. Kinder brauchen Grenzen, da bin ich ein großer Verfechter. Und wir müssen uns im geschäftlichen wie im privaten Bereich an Grenzen des Anstands halten. Es kann ja auch im Straßenverkehr nicht jeder fahren wie er möchte.

Wie können Sie sich persönlich mental abgrenzen? Anders gefragt: Bei der Fülle an Informationen, die Sie täglich verarbeiten müssen, wie können Sie das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden?
Ich grenze die Anzahl der Medien ein, mit denen ich mich beschäftige – und dennoch fühle ich mich von der Fülle an Informationen teilweise übermannt.

Ärgern Sie sich manchmal über ein Zuviel an Information?
Eigentlich nur dann, wenn der Absender eines E-Mails sich nicht die Mühe macht, das zu betonen oder zusammenzufassen, worum es eigentlich geht. Das ist eine Unart, die sich generell im Geschäftsleben breitgemacht hat. Hier hat jeder die Verantwortung sich zu überlegen: Was will ich eigentlich wirklich kommunizieren?

Was stresst Sie darüber hinaus?
Manchmal der Verkehr, wenn ich auf dem Weg zu Terminen bin. Mich stresst, wenn Deadlines nicht eingehalten werden, und ich deswegen unter Druck gerate. Manchmal stresst es mich, wenn ich mir meinen Kalender zu sehr fülle. Und es stresst mich, wenn es Leuten, die mir nahestehen, nicht gut geht.

Und wie sieht die Stressbewältigung aus?
Bei beruflichem Stress: Arbeiten bis spät in die Nacht (lacht).

Würden Sie sich als Arbeitstier beschreiben?
Ja. Ich sage immer, es ist besser, im Urlaub zu arbeiten, als gar nicht in den Urlaub zu fahren. Ich bin durchaus in der Lage, nach einem gemütlichen Abendessen mit der Familie noch ein paar Dinge zu erledigen. Das gehört zu meinem Job.

Mal abgesehen von der schieren Bewältigung des Arbeitsvolumens – was treibt Sie an?
Die Arbeit macht mir einfach Spaß. Gebrüder Weiss ist eine tolle Firma. Es gibt viele engagierte Menschen, mit denen ich arbeiten darf. Ich zolle Respekt, indem auch ich versuche, mein Bestes zu geben.

Sind Sie ausgeglichener, wenn die Arbeit erledigt ist?
Ja. Wenn Dinge unerledigt sind, bin ich etwas nervös, vielleicht manchmal auch grantig.

In welcher beruflichen Situation fühlen Sie sich besonders wohl?
Ich fühle mich wohl, wenn es mir gelungen ist zu motivieren; also die Menschen für eine gemeinsame Sache zu begeistern.

Die Digitalisierung wird unser Arbeiten auf den Kopf stellen. Stimmen Sie dem Satz zu?
Ja, aber ich sehe nichts, vor dem man Angst haben müsste. Natürlich werden weitere Arbeitsschritte digitalisiert und damit auch automatisiert. Auf der anderen Seite entstehen aber auch Schritt für Schritt neue Formen der Betätigung und neue Anforderungen. Ich bin eher der Meinung, dass die menschliche Arbeitskraft auf absehbare Zeit Mangelware bleiben wird. Was sich wirklich ändert, ist die Geschwindigkeit, mit der gewisse neue Entwicklungen kommen. Aber ich sehe hier prinzipiell eine große Chance für Gebrüder Weiss.

Nämlich welche?
Ich denke, wir haben uns in den vergangenen Jahrhunderten viel Vertrauen aufgebaut. Je unübersichtlicher die Welt wird, umso mehr werden Unternehmen profitieren, die sich einen Vertrauensvorschuss erwirtschaften konnten. Viele dieser digitalen Entwicklungen gehen ja auch in die Richtung, Plattformen zu schaffen, die Vertrauen aufbauen. Mal abgesehen davon ist es auch einfach notwendig, zeitraubende Prozesse weiter zu digitalisieren, um der überbordenden Bürokratie und Verwaltung entsprechend Herr zu werden. Auch Slots zu nutzen, wird ein großes Thema der kommenden Jahre werden: Wie lässt sich bereits vorhandene Infrastruktur, sei es auf den Straßen, auf der Schiene, seien es Parkplätze oder auch Platz in unseren Lagerhäusern oder Umschlagterminals, mithilfe digitaler Mittel besser ausnutzen?

Aber das Grundgeschäft der Logistik wird auf absehbare Zeit das Gleiche bleiben? Wir werden nicht beamen, auch nicht im großen Stil 3-D-drucken, sondern den Kunden Ware zeitgerecht in den Häppchen zur Verfügung stellen, in denen er sie braucht. Stimmen Sie zu?
Ja, ich bin auch dieser Meinung. Es wird ergänzend viel Neues geben, aber die Basisanforderung wird die gleiche bleiben.

Wie wird sich Gebrüder Weiss auch in Zukunft gegen die ganz Großen der Branche durchsetzen können?
Genau deshalb, weil die anderen ganz groß sind. Gebrüder Weiss kann persönlicher und individueller sein. Mehr Commitment, besserer Service. Deshalb: Wir werden sicher gut weiter wachsen, aber es ist nicht mein Bestreben, Gebrüder Weiss wahnsinnig groß zu machen.

Was schätzen Sie an Ihrem Vorgänger?
Wir haben persönlich eine sehr gute Ebene gefunden und verstehen uns gut. Ich schätze sehr, wie offen Herr Niessner diesen Übergabeprozess im Moment gestaltet. Er hat als Manager hervorragende Arbeit geleistet. Ich schätze es auch, wie leidenschaftlich er sich immer mit seiner Persönlichkeit in das Unternehmen eingebracht hat. Und ich danke Herrn Niessner dafür, dass er die schwierige Rolle als Vermittler zwischen den Generationen und den Eigentümerfamilien übernommen, stets gut ausgefüllt und jede Revolution unterbunden hat. Hut ab!

Was erhoffen Sie sich für die kommenden Jahre?
Ich erhoffe mir, möglichst unabhängig von konjunkturellen oder anderen äußeren Einfüssen, die Dynamik unserer Firma weiterzuentwickeln und das Zusammengehörigkeitsgefühl auf eine neue Ebene zu bringen. Die Anzahl der Märkte und die Anzahl der Menschen im Unternehmen haben sehr stark zugenommen. Wir sind gefordert, das zu vermitteln, was Gebrüder Weiss ausmacht. Es muss uns gelingen, mit neuen Formen der Kommunikation, aber auch mit persönlichem Einsatz den orangen Funken zum Überspringen zu bringen – und das nicht nur in Lauterach. Wir müssen unseren besonderen Spirit erhalten.

Und woran werden Sie Ihren Erfolg bemessen?
Erfolg ist, wenn es dem Unternehmen gut geht; wenn die Gesellschafter uns positiv beurteilen und gemeinsam an einem Strang ziehen; und wenn es uns gelingt, die Schlüsselfiguren in unserer Mannschaft an Bord zu halten. Wir sind ein Unternehmen, das begeistert. Und wenn wir in einer sich rasch verändernden Welt unseren Leuten einen – neudeutsch ausgedrückt – Purpose liefern, um bei uns zu arbeiten, dann haben wir in 15 Jahren viel erreicht

Wolfram Senger-Weiss (Bild: Gebrüder Weiss)

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