Mammutprojekt in Khorgos
Bereit für den Aufschwung
Auf der Seidenstraße kamen einst Stoffe, Porzellan und exotische Gewürze aus China nach Europa. Moscheen und Medressen in Zentralasien zeugen noch heute vom Glanz einer Zeit, da der Handel zwischen Orient und Okzident ganzen Regionen zu Wohlstand verhalf.
Diesen Mythos will China wiederbeleben – mit der »Neuen Seidenstraße« und Investitionen von mehr als einer Billion Euro. Ende 2013 brachte Chinas Staatschef Xi Jinping das gigantische Infrastrukturprogramm auf den Weg, die »Belt and Road Initiative« (BRI). Längst sprengt die BRI die Pfade seines mittelalterlichen Vorbilds, denn China investiert weltweit in den Ausbau von Transportwegen.
Auch der Kasache Zhenis Turkiya will von dem Mammutprojekt profitieren. Er ist Investor und Bauherr eines Hotel- und Shoppingkomplexes in Khorgos, auf dem Gelände des sogenannten Internationalen Zentrums für Grenzzusammenarbeit ICBC. »Wir sind hier eine der ersten Investoren aus Kasachstan und es gibt sicher viele Risiken«, sagt Turkiya. »Aber es bieten sich auch unheimlich viele Möglichkeiten.« Khorgos ist Kasachstans Tor zu Neuen Seidenstraße, rund 1.500 Kilometer südöstlich der kasachischen Hauptstadt Astana. Das ICBC ist ein 800 Hektar großes Territorium rund um den kasachisch-chinesischen Grenzübergang – die Basis für gemeinsame Wirtschaftsprojekte beider Länder, mit visafreiem Regime in beide Richtungen und Steuervergünstigungen. Turkiyas Hotel soll 180 Zimmer haben und Geschäftsleute wie Touristen gleichermaßen anziehen. Auch Casinos, eine Rennbahn, Wellness-Tempel und Schönheitskliniken sind geplant.
Noch ist davon kaum etwas zu sehen. Während in den vergangenen Jahren auf chinesischer Seite in Khorgos eine komplett neue Stadt entstand, sieht man diesseits der kasachischen Grenze bislang noch eine riesige Baustelle. Turkiya will das Hotel dennoch 2018 fertig bauen. »Kasachstan ist oft zögerlich, Genehmigungen zu erteilen«, sagt er. »Das verstehe ich nicht, denn wir haben ein Riesenpotenzial, auch eigene Produkte nach China zu verkaufen.«
20 Kilometer weiter funktioniert die Logistik auf der Neuen Seidenstraße schon recht gut. Der »Dry Port Khorgos« ist ein Umschlagplatz, an dem Container wegen unterschiedlicher Spurbreiten von chinesischen Zügen auf kasachische Züge umgeladen werden. Bisher dauerte es 45 bis 50 Tage, um chinesische Güter auf dem Seeweg nach Europa zu senden. Auf dem Landweg über Kasachstan ist die Transportzeit halb so lang. Auch wenn die Kosten dafür bis zu zehnmal so hoch sind, lohnt sich das für viele Kunden.
Naziyam Ibragimova ist PR-Managerin beim Dry Port Khorgos und führt regelmäßig Besucher über das Gelände mit den markanten gelben Containerbrücken. Die 25-Jährige ist überzeugt, dass Khorgos der ganzen Region hier im äußersten Südosten Kasachstans zu einem Aufschwung verhelfen wird. Ibragimova stammt aus der Region, lebte jedoch mehrere Jahre in Almaty. »Ich selber hätte das nie gedacht, aber ich bin aus der Stadt zurückgekehrt, weil ich hier ein besseres Arbeitsangebot hatte«, sagt sie. Ihr Arbeitgeber hat ihr eine Wohnung in Nurkent besorgt, einer Satellitenstadt wenige Kilometer entfernt, die nur für Angestellte des Dry Ports gebaut wurde. Bisher leben hier 1.200 Einwohner, geplant ist die Stadt jedoch für 100.000 Menschen. Trotz der etwas trostlosen Umgebung – direkt hinter Ibragimovas Plattenbau beginnt die Steppe – freut sich die junge Frau, hier zu sein. »Wir wohnen mietfrei und haben alles, was wir brauchen, Kindergarten, Schule, Geschäfte.« Zwischen dem Dry Port und Nurkent fährt täglich ein Shuttle-Bus – auch der ist kostenlos.
Über eine Rückkehr in die Stadt denkt Ibragimova nicht nach. Und auch Investor Turkiya ist bereit, auf Hotelgäste zu warten, falls nötig. Selbst wenn die Träume Kasachstans auf einen schnellen Boom der Region um Khorgos nicht ganz so rasch umgesetzt werden, wie anfangs geplant – das Tor zur Neuen Seidenstraße steht offen.
Edda Schlager lebt in Kasachstan und ist als Journalistin auf Zentralasien spezialisiert.