Stärkendes Orange
Orange zu Weiss
Orange ist eine seltsame Farbe. Der Mischton aus Rot und Gelb vereint die symbolhaften Wirkungen beider Farben: Orange wirkt heiter und unbekümmert, wie gelb. Es ist dynamisch und laut, wie rot. Es signalisiert Vergnügen, Wärme und Geselligkeit. Aber es ist Vorsicht geboten: Je nach Mischverhältnis kann orange beim Betrachter auch Unruhe hervorrufen (bei einem hohen Gelbanteil) oder Gefahr anzeigen (wenn der Rotanteil überwiegt). Dies könnte erklären, warum die Farbe zu den unbeliebtesten Tönen des Farbspektrums gehört, glaubt man verschiedenen Umfragen zur Farbpsychologie.
Es könnte aber auch daran liegen, dass Orange in den wilden 1970er Jahren – neben braun – die Trendfarbe schlechthin war. Die Attribute modern und billig, die dem Mischton häufig zugeschrieben werden, rühren vielleicht daher. Denn neben Tapeten und Schlaghosen wurden zu der Zeit auch etliche Haushaltshelfer und sonstige Accessoires aus Plastik bevorzugt in Orange hergestellt. Der Trend ging vorbei, das Image blieb haften. Denn wie bei anderen kognitiven Vorgängen auch, sind es bei Farben vor allem die mit dem Ton verbundenen Gewohnheiten und Erfahrungen, die eine bestimmte Reaktion im Gehirn hervorrufen. Und so ist die Wahrnehmung von Farben überall auf der Welt verschieden.
In Asien ist orange eine sehr positiv besetzte Farbe: Im Buddhismus gilt der Ton als höchste Stufe der Erleuchtung, buddhistische Mönche tragen orange Gewänder, die chinesischen Staatsbeamten waren klassisch ebenfalls in dieser Farbe gekleidet, im Yoga und in der traditionellen chinesischen Medizin steht Orange für eines der Energiezentren des menschlichen Körpers.
In der westlichen Welt hingegen gab es vor der Orange kein Orange. Lange Zeit wurden in Europa nur reine Farben als ästhetisch ansprechend empfunden. Auf mittelalterlichen Gemälden findet sich der Mischton daher weder in der Kleidung noch als Symbolfarbe, als Wappen- oder Signienfarbe war die Farbe sogar verboten.
Erst als im 15. Jahrhundert über Umwege die süße Zitrusfrucht aus Indien Portugal erreichte, war ein Name für den Farbton zwischen gelb und rot gefunden: laranja auf Portugiesisch beziehungsweise naranja in Spanien, abgeleitet vom arabischen narang. Auf dem Weg nach Norden wurde der Frucht noch etwas Glanz hinzugefügt und so war die orange geboren – or steht für gold im Französischen. Und bis heute heißt die Farbe in allen Sprachen nach dem Obst. Mit dem Siegeszug der Zitrusfrucht fand die Farbe langsam auch in Europa eine Fangemeinde. Johann Wolfgang von Goethe spricht in seinem Farbkreis zwar noch von gelbrot beziehungsweise rotgelb, schreibt dem Ton aber schon eine „edle Wirkung“, die die Vernunft anspricht, zu.
Für Gebrüder Weiss, dessen Wurzeln im Transportbereich auf 1474, also kurz nachdem die Orange den europäischen Kontinent erreicht hatte, zurück gehen, war die Firmenfarbe nicht immer Orange. Bis in die 1930er Jahre waren die Fahrzeuge des Familienbetriebs - wie damals üblich - in gedeckten Farben lackiert. Dann erhielt das Unternehmen, damals noch in Bregenz ansässig, einen eiligen Kundenauftrag, erinnert sich der frühere Garagenmeister Josef Schwerzler Jahrzehnte später. Der dazu benötigte Lkw war aber noch in der Werkstatt. Der Rostschutz in orange war bereits aufgetragen, der mausgraue Lack noch nicht. Um den Auftrag sofort zu erledigen, wurde der Lkw unfertig zum Beladen in den Hof gefahren. Zufällig sah Ferdinand Weiss, der damalige geschäftsführende Gesellschafter, dieses orange Fahrzeug und erkannte sofort die Werbe- und Signalwirkung der Farbe. Seitdem sind die Gebrüder Weiss-Fahrzeuge orange lackiert. Das war ein halbes Jahrhundert bevor Orange als progressive Farbe auf Lkws modern wurde. Ob Ferdinand Weiss in den 1930ern ahnte, dass diese Farbe für sein Unternehmen in Fernost besonders positiv gewertet werden würde?
Die Geschichte über Gebrüder Weiss beweist einmal mehr, dass die Wirkung der Farben tief in unserem Unterbewusstsein verankert ist und nicht durch rationale Überlegungen zu erklären ist. Darauf baut vermutlich auch die Farbtherapie auf: Die schreibt dem Mischton nämlich eine Immunsystem stärkende Wirkung zu. Vielleicht liegt der positive Effekt des Orangenkonsums also gar nicht nur am Vitamin C des Fruchtfleisches, sondern auch an der aktivierenden Wirkung der Farbe der Schale.
Imke Borchers ist Literaturwissenschaftlerin und Redakteurin für den Atlas.