Export von Textilware nach Westafrika

Nigeria: Spitze!

Vorarlberg ist eine innovative Wirtschaftsregion, zusammen mit Oberösterreich ist es das Bundesland mit der höchsten Industriedichte in ganz Österreich. Neben Fruchtsäften, Käse, Beleuchtung, Beschlägen, Holzwirtschaft, Maschinenbau und Elektroindustrie steht die Region vor allem für Spitzenprodukte: Stickereien und andere veredelte Stoffe.

(Bild: Markus Winkler / Unsplash)

Zu verdanken ist das gewissermaßen der Schweiz. Als 1751 Kaufleute aus St. Gallen in Lyon beobachteten, wie türkische Frauen auf einer Trommel Seidenstoff mit Motiven aus Gold- und Silberfäden bestickten, entsendeten sie umgehend eine Schweizerin, die dieses filigrane Handwerk erlernen sollte. Diese wiederum leitete in St. Gallen andere Stickerinnen an, und die Geschäfte mit den veredelten Stoffen liefen bald so gut, dass man auf der Suche nach Nachwuchs über die Grenze in den Bregenzerwald kam. Hier breitete sich die Handstickerei unter den Mädchen und Frauen schnell aus, denn in der bäuerlichen Region war ein Nebenerwerb sehr willkommen. Und mit den Jahren wuchs das Exportgeschäft in die Schweiz zu einem eigenen Wirtschaftszweig. In den 1860er Jahren kamen dann die ersten Stickmaschinen, und bereits 1880 waren es 1.400.

Seitdem hat sich vieles geändert, einiges aber blieb die letzten 250 Jahre hindurch gleich: Die Vorarlberger Stickereien sind Familienbetriebe, die sich persönlich um die Einhaltung der Qualitätsstandards und die Betreuung ihrer Kunden kümmern. 2016 haben diese Betriebe 345 Tonnen Stickereien im Wert von 36 Millionen Euro exportiert. Knapp die Hälfte davon ging nach Europa, vor allem nach Frankreich, in die Schweiz und nach Deutschland. Weitere 40 Prozent aber gingen – und das ist auf den ersten Blick vielleicht erstaunlich – nach Nigeria.

Als Anfang der 1960er Jahre die Vorarlberger Sticker ihre Stoffe auch in Westafrika präsentierten, stießen sie dort auf besonders begeisterte Kunden, und die Spitze wurde zum Exportschlager. Immer häufiger kamen nigerianische Geschäftsleute nach Vorarlberg, um ihre Bestellungen vor Ort abzugeben und direkt in bar zu bezahlen. Gebrüder Weiss übernahm die Transportabwicklung für die Lieferungen, teilweise bis zu 100 Tonnen wöchentlich, 70 Tonnen Stickerei sowie weitere andere Stoffe aus Europa. Walter Schneider, damals Niederlassungsleiter für Gebrüder Weiss Lustenau und Netzwerkkoordinator für das Afrikageschäft, erinnert sich: »Ab 1978 ging jede Woche eine Boeing 747 ab Paris nach Cotonou, das ökonomische Zentrum in Benin, einem Nachbarland von Nigeria. Wir haben damals sogar mit anderen Lustenauer Spediteuren zusammengearbeitet, weil wir die Menge allein nicht bewältigen konnten. Wir haben die Stoffe in Lustenau auf Paletten geladen und beschriftet. Anlieferung war Freitag, Ankunft war Sonntag.«

Bis in die späten 1980er boomte der Export nach Westafrika. Dann sind die Geschäfte aufgrund von Währungsabwertungen in Afrika deutlich zurückgegangen. Der Handel mit exklusiver Ware aber besteht bis heute, und nach wie vor unternehmen die feinen Stoffe aus Lustenau weite Reisen – denn so ganz aus der Mode kommen sie wohl nie.


Imke Borchers ist Literaturwissenschaftlerin und Redakteurin für den Atlas.

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