Breaking
Es geht nicht um Mode, es geht um Style
Die Olympischen Spiele der Neuzeit waren bei ihrer Einführung im Jahre 1894 in erster Linie als Treffen der Jugend der Welt konzipiert. So ist es passend, dass sich das IOC den sogenannten Trendsportarten öffnet, um am Puls der Zeit zu bleiben. Erstmals werden in Tokio 2020 Medaillen im Skaten und im BMX Freestyle vergeben. „Wir können nicht mehr darauf warten, dass die Jugendlichen zu uns kommen“, so IOC Präsident Thomas Bach, „wir müssen dorthin gehen, wo die Jugendlichen sind, in die urbanen Zentren.“ Eine weitere Sportart, die zunächst bei den Buenos Aires 2018 Youth Olympic Games auf ihre Publikumstauglichkeit im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris getestet wird, ist Breaking.
Aber ist das überhaupt eine Sportart? Das fragt sich wohl nicht nur der ein oder andere Fernsehzuschauer, sondern auch die globale Hip-Hop-Szene. Immerhin bildet Breaking mit den Disziplinen Rap, DJ-ing und Graffiti gemeinsam die Hip-Hop-Kultur, die als Protestbewegung ihren Ursprung in der New Yorker Bronx der 70er Jahre hat. Dort schufen afro-amerikanische Jugendliche aus dem Erbe von Blues, Jazz, Soul und Funk nicht nur eine neue Musikrichtung, sondern legten zugleich den Grundstein für ein Kulturphänomen globalen Ausmaßes. Heute ist Hip-Hop die meistverbreitete Jugendkultur der Welt. Während die Tänzer in den 70er Jahren auf Asphalt oder herumliegenden Holzplatten zu den Breaks der DJs tanzten, die den Strom für ihr Equipment nicht selten einfach irgendwo abzapften, um ihre Musik auf der Straße aufzulegen, treten die Breaker heute im Rahmen großer Wettbewerbe wie Battle Of The Year, Red Bull BC One, Freestyle Session oder Taipei Bboy City auf allen Erdteilen gegeneinander an. Und nun also auch bei den Youth Olympic Games 2018 in Buenos Aires. Und das bringt einige Veränderungen mit sich. Innerhalb der Gesamtheit einer tänzerischen Darbietung, bei der es nicht zuletzt um die Inszenierung der eigenen Identität, des eigenen Styles geht, muss die sportliche Leistung bei der Bewertung isoliert werden.
Als die World Dance Sport Federation (WDSF), der vom IOC anerkannte Verband für die Umsetzung von olympischen Tanzwettbewerben, sich daran machte, Breaking als olympische Sportart aufzubereiten, war die Skepsis in der Hip-Hop-Szene groß. Einem Verband ohne jegliche Kenntnis der langjährigen Tradition und der kulturellen Codes traute man diese Aufgabe nicht zu. Die WDSF begegnete diesem Zweifel im März 2017 mit der Berufung einiger Hip-Hop-Experten, darunter der Gründer des größten Breaking-Events der Welt, Battle Of The Year, Thomas Hergenröther. Als Berater des WDSF ist Hergenröther seitdem für die Gesamtkoordination des Projektes verantwortlich.
Neben Zeitdruck – die für Olympia obligatorische Qualifikationsserie muss unbedingt vor den Spielen in Buenos Aires abgeschlossen sein – sah sich Hergenröther vor allem mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Zum einen damit, die speziellen Gepflogenheiten der Breaking-Szene mit den strengen Auflagen des IOC in Einklang zu bringen. „Olympia gibt es seit Ewigkeiten, es gibt extrem eingefahrene Richtlinien, alles wird vertechnisiert und saugt die Energie aus der Kultur“, so Hergenröther, „dabei will das IOC am Ende einen lebendigen Wettbewerb. Da müssen eben Kompromisse gemacht werden.“ Die Zusammenarbeit mit dem IOC habe sich über die Zeit allerdings sehr positiv entwickelt. Inzwischen gibt es ein 80-seitiges Regelbuch, das für jede denkbare Situation während der Wettbewerbe eine sehr genaue Handlungsanweisung gibt und sämtliches zugelassenes Equipment auflistet. Und so ist die Headspin-Cap nunmehr ein offizielles Sportwerkzeug.
Zum anderen ging das IOC ursprünglich wohl davon aus, dass es im Breaking wie in anderen etablierten Sportarten weltweit einheitliche Organisationsstrukturen gibt, auf die die Jugendolympiade aufbauen kann. Das ist nicht der Fall. In vielen Ländern trainieren Breaker ohne einen festen Tanzraum und völlig ohne Trainer, bestenfalls noch mit YouTube-Videos als Anleitung. Noch dazu gab es bislang bei internationalen Wettbewerben kein homogenes Regelwerk, an dem sich die Punktrichter orientieren. Häufig deuten die Punktrichter nach einer Runde, bei der jeweils ein Tänzer gegen einen anderen antritt, lediglich per Handzeichen kurz auf den besseren der beiden, der daraufhin als Sieger aus der Runde hervorgeht. Die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen ist für den Zuschauer dabei gleich Null.
Es galt also, ein für den Zuschauer und für die Tänzer transparentes Bewertungssystem zu entwerfen, das bei aller Genauigkeit aber auch mit den Werten der Hip-Hop-Kultur und der Tradition des Breaking einher geht, damit es von den Tänzern auch akzeptiert wird. Dafür holte Hergenröther Niels „Storm“ Robitzky in sein Team, eine lebende Legende innerhalb der Hip-Hop-Szene. Bereits in den frühen 90er Jahren gewann er mit seiner Crew Battle Squad mehrmals das Battle Of The Year, heute ist er Punktrichter bei den weltweit wichtigsten Tanzwettbewerben der Szene und gilt als herausragender Experte im Bereich Urban Dance.
Bei der Entwicklung des Bewertungssystems hat sich Storm an den drei sprachlichen Fächern der sieben freien Künste in der Antike, dem so genannten Trivium orientiert – Grammatik, Dialektik und Rhetorik. So bewerten die Judges nun nach drei Kriterien: Mind, Body & Soul, also die künstlerische, physische und interpretative Qualität einer Tanzdarbietung. Während jeder Runde eines eins-gegen-eins-Battles geben die Punktrichter ihre Bewertung in ein Tablet. So kann das Publikum nachvollziehen, welcher Punktrichter welchen Tänzer pro Runde um wie viel Prozentpunkte vorne sieht und ob ein Duell knapp oder deutlich entschieden wird. Storm legt großen Wert darauf, dass die Tänzer nach wie vor im direkten Vergleich gegeneinander antreten und dass die Gesamtperformance und nicht die zusammenhanglose Aneinanderreihung verschiedener Tanzfiguren im Vordergrund steht – Style eben.
Drei Vorentscheide haben auf der Grundlage dieses neuen Bewertungssystems bereits stattgefunden, nun treten die 90 besten Jungen und Mädchen dieser Veranstaltungen am 25. Mai 2018 beim letzten Qualifier in Kawasaki, Japan, gegeneinander an. Dort werden die jeweils besten zwölf WettkämpferInnen aus zwölf unterschiedlichen Ländern für die Teilnahme an den Youth Olympic Games 2018 in Buenos Aires nominiert. Danach wird sich zeigen, ob Breaking frühestens 2024 in Paris tatsächlich olympische Disziplin wird. Thomas Hergenröther und Storm sind mit der bisherigen Entwicklung des Projektes zufrieden. Die Jugendolympiade trägt als wichtiger zusätzlicher Wettbewerb zur Etablierung des Breaking bei – und damit zur weiteren Verbreitung einer Jugendkultur, deren Hauptanliegen internationaler Austausch und Authentizität sind. Breaking ist über 40 Jahre nach seiner Entstehung immerwährend beliebt. Zu verlieren habe man daher nichts. „Olympia braucht uns“, so Storm, „nicht umgekehrt.“
Axel Zielke ist Musikwissenschaftler und Hip-Hop-Experte.
Breaking: Das Breaking, ursprünglich B-Boying und B-Girling genannt, ist eine Tanzform der Hip Hop Kultur, die sich in den frühen 70er Jahren in der Bronx entwickelt hat. Der Begriff geht auf die sogenannten Breaks bzw. Breakbeats zurück, die Hip Hop DJs zu dieser Zeit bei Parties und Veranstaltungen aufgelegt haben. Der Tanz besteht im weitesten Sinne aus vier Bewegungsmodulen: Toprock (aufrechte Tanzschritte), Downrock (Bewegungen am Boden), Power Moves (athletisch anspruchsvolle Figuren, z.B. Headspin) und Freezes (für einen kurzen Moment eingefrorene Posen).
EINS-GEGEN-EIN oder 1 ON 1: Der Begriff 1on1 bezeichnet in einem Tanzwettkampf die Anzahl der Tänzer, die direkt gegeneinander antreten. Das 1on1 ist vergleichbar mit dem Einzel etwa im Tennis. Neben dem 1on1 Battle sind im Hip Hop auch Gruppenwettkämpfe wie das 2on2, 3on3 oder auch 5on5 üblich.
Headspin-Cap: Das Headspin Cap ist eine Mütze mit festem Nylon-Pad an der Frontseite, die Breaker bei einem Headspin tragen. Dabei hat nur der Kopf Kontakt mit dem Boden, der Körper des Tänzers dreht sich. Das Headpin Cap erleichtert die Drehung und verhindert Verletzungen.