Zukunftsvisionen für die Logistik

Allheilmittel Digitalisierung?

In der Logistik herrscht Hochsaison für Trendforscher. Sie träumen von intelligenten Transportbehältern, die ihren Weg von Sender zu Empfänger selbstständig finden. Die Fahrzeuge, die sie sich dazu flexibel und bedarfsweise aussuchen, sind fahrerlos und autonom unterwegs. Doch wie führt der Weg dorthin?

(Bild: Stocksy / Audrey Shtecinjo)

Ich bin am frühen Abend auf der Autobahn unterwegs, auf dem Rückweg von einem Interviewtermin an einer Hamburger Logistikhochschule. Gerade haben mir zwei Professoren das Konzept des Physical Internet erklärt. Die Zukunftsvision reicht ins Jahr 2050 und geht auf ein Manifest zurück, das der US-Professor Benoit Montreuil im November 2012 verfasste. Sie überträgt das Prinzip Internet auf die Transportwelt. Genau so, wie sich heute E-Mails und Datenpakete ihren Weg durch Leitungen und Internetknoten von Sender zu Empfänger suchen, sollen zukünftig die globalen Warenströme laufen. Dazu, so die Vision, kommunizieren intelligente Transportbehälter mit den gerade verfügbaren Fahrzeugen und suchen sich das jeweils passende in Echtzeit aus. Wie genau die Ware von einem Ort zum anderen gelangt, ist egal. Sie soll nur für einen möglichst günstigen Preis zu einem definierten Zeitpunkt am Zielort sein, Fahrzeuge und Umschlagzentren sollen dabei viel effizienter ausgelastet werden. Während ich das Gespräch Revue passieren lasse, werde ich müde und will einen Rastplatz ansteuern. Doch ohne Erfolg: Der Parkplatz ist überlastet und von mehreren Lkw blockiert. Ich fahre weiter, aber bei der nächsten Gelegenheit zeigt sich das gleiche Bild.

Das wirft Fragen auf. Lösen wir die Probleme von heute mit Konzepten von übermorgen? Soll die EU-Kommission die Forschung am Physical Internet fördern oder doch besser erst einmal den Bau neuer Rastplätze? Der Spagat zwischen dem Jetzt und dem Möglichen prägt die Mobilitätswelt von heute. Wir sind aufgebrochen und wissen schon, wo wir ankommen wollen – aber nicht so recht, auf welchem Weg wir dorthin kommen. Entwickler präsentieren auf Messen und Kongressen die neuesten Telematiksysteme und stehen auf dem Weg zum Veranstaltungsort im Stau. Wissenschaftler forschen an der weiteren digitalen Vernetzung der Logistikkette, während Disponenten am Telefon darum ringen, ihre Fahrzeuge in die Abläufe an der Laderampe einzufügen.

Die Digitalisierung ist kein Allheilmittel. Und doch kann sie dazu beitragen, einen Zielkonflikt zu lösen. Während das Transportvolumen in einer globalisierten Wirtschaft weiter anwächst, sind die Ressourcen begrenzt – sei es an Zeit, Geld, Fahrern, Fuhrpark, Straßen oder Rastplätzen. Mit digitalen Mitteln lässt sich eine bestehende Infrastruktur besser ausnutzen. Aber auch ethische Fragen und gesetzliche Vorgaben sind ein Treiber digitaler Innovationen. Angesichts des Klimawandels gilt es, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken. Das kann durch effizientere Motoren und elektrifizierte Antriebsstränge erreicht werden. Eine alternative Antwort liegt darin, die Prozesse entlang der Lieferkette zu verbessern. Zwar arbeiten Transportunternehmen daran schon seit langem. Doch genau das ist das Problem, denn viele Ansätze für mehr Effizienz sind längst ausgereizt. Erst die fortschreitende Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten.

Ein gutes Beispiel dafür ist die weitere Vermeidung von Leerfahrten. Viele – meist größere – Logistikunternehmen haben dieses Thema mit der Einrichtung von Sammelgutverkehren gelöst, die das Stückgut für den Hauptlauf zu einer Sammelladung zusammenfassen. Inzwischen bieten außerdem offene Plattformen digitale Tools an, die jeder ohne große Hürden nutzen kann. Sie fügen Einzelladungen automatisiert zu maßgeschneiderten Touren zusammen. Ihre Algorithmen berücksichtigen wichtige Faktoren wie Verkehrsdaten in Echtzeit, Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer oder das Ladevolumen. Zwar stecken diese Plattformen noch in den Kinderschuhen. Aber sie bringen für alle Beteiligten Vorteile: die Anbieter der Plattformen – oftmals als Start-up aufgestellt – können neue Geschäftsmodelle entwickeln, Transportanbieter jeder Größe unabhängig von der eigenen Softwareausstattung die Fahrzeuge besser auslasten und deren Kunden am Ende durch niedrigere Preise profitieren. Auch das Klima gewinnt dabei, weil weniger CO2 in die Atmosphäre gelangt.

Ein anderer Ansatz ist die vorausschauende Wartung, die auch als Predictive Maintenance bezeichnet wird. Viele unterschiedliche Sensoren erfassen dabei am Fahrzeug, in welchem Zustand sich Komponenten, Elektronik und Verschleißteile wie Bremsen und Reifen befinden. Die Daten werden anschließend analysiert, um Voraussagen zum Wartungsbedarf zu treffen. So lassen sich anstehende Werkstattbesuche besser in die Tourenpläne integrieren und Pannen auf der Straße verhindern. Unnötige Arbeiten durch zu frühe Wartung werden vermieden, ohne einen Liegenbleiber zu riskieren. Auch das schont Ressourcen und erhöht die Effizienz.

Die Reise in die Logistikwelt von morgen führt über viele kleine Schritte. Dazu gehören auch Assistenzsysteme, die den Fahrer unterstützen und zum Beispiel dabei helfen, Unfälle zu vermeiden. Indem sie direkten Nutzen stiften, können sie sich refinanzieren und durchsetzen. Sie entlasten den Fahrer, so dass er sich in geeigneten Situationen auch fahrfremden Tätigkeiten widmen kann. Einige Branchenexperten sehen den Aufstieg des Fahrers zum Transportmanager voraus. Doch auch wenn technisch gesehen sogar der völlig autonome Lkw nicht mehr weit ist: Alleine schon aus rechtlichen Gründen wird der Fahrer auf längere Sicht die letzte Instanz bleiben. Innovation ist eben nicht nur Technik, sondern hat auch immer einen gesellschaftlichen Rahmen.


Laurin Paschek ist Mitinhaber des Redaktionsbüros delta eta in Frankfurt/Main.

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