Asphalt
Kulturgut aus Stein und Asphalt
Seit dem Bau der ersten Straße, den Archäologen auf etwa 3.500 vor Christus datieren, ist das Wegenetz immer weiter angewachsen. Die Fahrbahndecken sind dabei im Laufe der Geschichte sehr unterschiedlich.
Zwei Kriterien machen eine planmäßig entworfene Straße aus. Erstens muss ihr Verlauf vom Menschen bestimmt sein – und dafür müssen, falls erforderlich, auch Hindernisse aus dem Weg geräumt oder Flächen gerodet werden. Und zweitens muss eine Straße mit einem Straßenbelag ausgestattet sein: der Begriff leitet sich vom lateinischen „via strata“ ab, was so viel wie „gepflasterter Weg“ bedeutet. Historisch gesehen war die Erfindung des Rades ausschlaggebend für den Bau befestigter Straßen. Archäologen vermuten auf Grundlage von Funden und Darstellungen von Wagen und Rädern, dass dies bereits um 3.500 vor Beginn unserer Zeitrechnung, also vor etwa 5.500 Jahren, der Fall gewesen sein muss. Der erste planmäßige Straßenbau konnte in Griechenland und im Zweistromland – dem historischen Mesopotamien als erste Hochkultur der Menschheit zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris – nachgewiesen werden.
Wer in der Wolfsburger Autostadt den Zufahrtsweg zum Ritz-Carlton Hotel ansteuert, der kann die verschiedenen historischen Fahrbahndecken im Wortsinne erfahren. Denn in der Ausstellung in Form eines echten Weges sind die Straßenbeläge aus fünfeinhalb Jahrtausenden verbaut – und wer aus dem Auto steigt, kann sich die Bauweisen auch auf Tafeln erklären und anhand von Schichtexponaten veranschaulichen lassen. Bei den ersten befestigten Straßen aus dem Jahr um 3.500 vor Christus handelte es sich um sogenannte Spurwege, die häufig bereits bestehende Pfade nachahmten und die meist einfache Schotterwege darstellten. Eine andere Bauform waren Bohlenwege aus Holz. Mit ihnen wurden bereits seit der späten Steinzeit sumpfige Wegstrecken erschlossen. Wenn es sich nicht durch Umwege vermeiden ließ, wurden die damals ausgedehnten Moore und Flussniederungen Europas mithilfe aufwendiger Konstruktionen auf meterhohen Pfählen überbrückt.
Eine der ersten Straßen aus Steinquadern hat das Berliner Pergamonmuseum in einem Computermodell anhand der Prozessionsstraße zum Ischtar-Tor in Babylon simuliert: Die antike Pflasterstraße, die als Nachbau ebenfalls in Wolfsburg zu sehen ist, wird auf etwa 620 vor Christus datiert und besteht aus weißen Kalksteinquadern, die auf drei Lagen Ziegel in Asphalt gebettet sind. Der Unterbau erfüllt eine wichtige Funktion, denn er nimmt die Kräfte auf, die durch die Fahrzeuge auf die Deckschicht einwirken – und verhilft der Fahrbahndecke so zu längerer Haltbarkeit.
Weiterentwickelt wurde die Schichtbauweise von den Römern, deren Straßen bereits über einen Unterbau mit einer Dicke von bis zu einem Meter verfügten. Die oberste Schicht („summa crusta“) bildeten oft kunstvoll versetzte Polygonalplatten aus Basalt, aber auch Decklagen aus Schotter. Die Kernlage („nucleus“) bestand aus einer Kiessandschicht mit Ziegelbruch, die mit römischem Beton („opus caementitium“) stabilisiert wurde – einem Gemisch aus Kalk, Tuff und Ziegelmehl, das unter der Zugabe von Wasser aushärtet und dessen bekannteste Anwendung die fast 2.000 Jahre alte Kuppel des Pantheon in Rom ist. Das Fundament einer Römerstraße bestand aus grob behauenen, rechteckigen Natursteinen, die hochkant oder liegend gesetzt waren.
Das Motiv der Römer für den Bau solider Straßen war häufig militärischer Natur: Es galt, die Streitwagen und militärische Ausrüstung möglichst schnell im riesigen Reich bewegen zu können. Doch die Straßen überdauerten das Römische Reich bis weit ins Mittelalter und wurden von den Menschen noch lange, nachdem der eigentliche Straßenneubau zum Erliegen gekommen war, mit Feldsteinen ausgebessert. Selbst heute ahmt die Straßenführung in Europa häufig noch den Verlauf alter Römerstraßen nach.
Mit der Industrialisierung beschäftigte sich der 1756 geborene John Loudon McAdam mit dem Bau einer möglichst haltbaren Straße. Er entwickelte einen Straßenaufbau aus Schotterschichten, wobei die Körnung von unten nach oben immer feiner wurde. Die Bauweise entwickelte sich im 19. Jahrhundert in Europa zum Standard, wurde nach ihrem Erfinder „Makadam-Belag“ genannt und diente später als Bezeichnung für alle mit Teer (oder später mit Bitumen) gebundenen Schotterstraßen. Das Bindemittel wurde erforderlich, um der Staubentwicklung entgegenzuwirken – denn die inzwischen aufkommenden motorisierten Fahrzeuge wirbelten beim Fahren die oberste Schotterschicht auf.
Heute wird für Fahrbahndecken überwiegend Asphaltbeton in verschiedenen Korngrößen verwendet. Asphalt ist eigentlich ein Bindemittel für im Straßenbau verwendete Gesteinsmischungen, der Begriff hat sich aber als Bezeichnung für den Belag selbst durchgesetzt. Die erste Betonstraße der USA entstand 1894 in Bellefontaine (Ohio) und wird heute noch genutzt. Die erste Betonstraße Österreichs wurde 1904 in Amstetten gebaut, sie wurde aber 1915 wieder abgetragen, der Belag erwies sich für Pferde als zu ermüdend. Noch immer greifen die Bauingenieure auf die Schichtbauweise der alten Römer zurück: Unter der hydraulisch – also durch Wasser – gebundenen Asphalt-Tragschicht befindet sich eine betongebundene Schotterschicht als Zwischenlage und darunter eine Schicht aus Kiessand, der auch dem Frostschutz dient.
In den 1980er Jahren wurde der sogenannte „Flüsterasphalt“ entwickelt, der auch als Drainasphalt bezeichnet wird. Offenporiger Beton mit größeren Hohlräumen soll dabei das Abrollgeräusch der Reifen absorbieren. Allerdings ist der Schallschlucker doppelt so teuer wie herkömmlicher Asphalt und hält nur sechs bis acht Jahre lang. Der Flüsterasphalt wird daher heute nur für Autobahnabschnitten mit besonders hohen Anforderungen an den Schallschutz verbaut. Es gibt auch Erprobungen von Niedertemperatur-Asphalt, der Energie und CO2-Emissionen bei der Herstellung senken soll, und Farbasphalte, um beispielsweise Fahrradspuren in roter Farbe zu markieren. Die wichtigste Funktion eines Straßenbelags ist aber immer noch die gleiche wie vor 5.000 Jahren: Er soll die Straße befestigen, damit die Reisenden darauf sicher an ihren Zielort kommen.
Dr. Laurin Paschek ist Creative Director Content bei der Agentur 3st kommunikation und war bis Februar 2020 Inhaber des Redaktionsbüros delta eta in Frankfurt/Main.