Transportwirtschaft

Über das Meer oder durch die Luft?

Die Corona-Pandemie stellt auch die Transportwirtschaft vor neue Herausforderungen. Doch gibt es in der Branche dauerhafte Verschiebungen, oder bleibt am Ende alles beim Alten? Ein Blick in die See- und Luftfracht.

Bild: iStock

Rund 90 Prozent der weltweit gehandelten Güter werden auf dem Seeweg transportiert, nur etwa 2 Prozent per Flugzeug. Mit Beginn der Corona-Krise wurden beide Verkehrsträger ausgebremst. Allein in chinesischen Häfen stauten sich im März mehrere Millionen Leercontainer, während Schiffe mit vollen Containern nicht ablegen konnten und feststeckten. Die Luftfracht, die bis dahin rund 50 bis 60 Prozent ihres Volumens als Beiladefracht transportiert hatte, geriet durch die zwischenzeitlich fast komplett eingestellte Passagierluftfahrt in ernste Turbulenzen. Zugleich gingen die globalen Handelsaktivitäten zurück, was laut Weltluftfahrtverband IATA im ersten Halbjahr 2020 die Nachfrage nach Luftfracht weltweit um 15 Prozent und europaweit um 20 Prozent sinken ließ.

»Corona war für die Luftfracht ein großer Einschnitt«, bestätigt Christopher Stoller, Professor für Logistikmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und Präsident des Aircargo Clubs Deutschland. »Insgesamt hat die klassische Luftfracht dadurch aber eine Aufwertung erfahren: Das wird unter anderem daran deutlich, dass zuletzt viele Passagierflugzeuge zu Frachtflugzeugen umgebaut wurden.« Der akute Bedarf an Schutzausrüstung und anderen medizinischen Produkten habe die Systemrelevanz dieser Branche noch einmal unterstrichen. Eine nachhaltige Verschiebung der Transportanteile zwischen See- und Luftfracht sieht er nicht. »Es gibt sehr viele Akteure, die entlang der gesamten Lieferkette Güter anfassen und weitertransportieren. Ich kann mir eher vorstellen, dass es jetzt zu Konsolidierungen kommen könnte.« Wer zum Beispiel hauptsächlich mit Kunden aus der Automobilindustrie zusammenarbeite, stehe derzeit vor großen Herausforderungen. Wer dagegen Personal Protective Equipment (PPE) zum Schutz gegen Corona im Portfolio habe, sei gut im Geschäft.

Ähnlich lautet die Einschätzung von Harald Kostial, Head of System Management Air & Sea bei Gebrüder Weiss. »Wegen des Wegfalls der Kapazitäten in den Passagierflugzeugen sind die Raten in der Luftfracht zeitweise auf das Fünffache angestiegen«, berichtet er. Während es der Schifffahrtsbranche gelungen sei, ihre Preise durch Flottenanpassungen von Anfang an vergleichsweise stabil zu halten, würden sich inzwischen auch die Luftfrachtraten langsam wieder auf niedrigerem Niveau einpendeln. »Gerade im ersten Halbjahr mussten wir aber sehr schnell auf die schwankenden Preise und die sich verändernden Kapazitäten auf Schiffen und in Flugzeugen reagieren.« Auch Kostial geht davon aus, dass es dauerhaft keine massiven Volumenverschiebungen zwischen den Verkehrsträgern geben wird.

Inzwischen haben die meisten Reedereien ihre Containerflotten wieder auf die Reise über die Weltmeere geschickt. »Die Frage ist, wie sich der Welthandel infolge der Corona-Krise insgesamt entwickeln wird«, meint Schifffahrtsexperte Max Johns, Professor an der Hamburg School of Business Administration. Für das laufende Jahr sei etwa im Containerhandel mit Einbußen von rund 10 Prozent zu rechnen. »Darüber hinaus wird es spannend zu beobachten, wie die aktuell wieder verstärkt geführte Debatte um Sinn und Unsinn von Deglobalisierungsbemühungen weitergeht.« Er nehme an, dass die sich vielerorts zeigende protektionistische Grundhaltung auch für künftige Handelsbeziehungen bestehen bleibe. »Die größte Neuordnung, die ich sehe, ist eine breitere Streuung der Quellen auf Produktionsstandorte in verschiedenen Ländern«, so Johns. Wie und auf welche Verkehrsträger sich der Transport letztlich im Detail verteilen werde, müsse sich zeigen: »Das hängt davon ab, wo die Produktionen sind – und daraus ergeben sich dann die Transportketten.«


Anne-Katrin Wehrmann ist freiberufliche Journalistin und lebt in Bremen. Zu ihren Schwerpunkten gehören neben Logistik auch maritime Themen, erneuerbare Energien sowie Wissenschaft und Forschung.

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