Petra Reski antwortet

Wird Reisen langsam überflüssig?

Petra Reski (Bild: Paul Schirnhofer)

»Der Tourist ist ein Mensch mit heimlichem Groll. Er tötet. Er spürt die Venezianer nicht, mit denen er in Berührung kommt, er sieht sie nicht. Oder er stellt keine Beziehung zwischen ihnen und Venedig her, außer er findet vielleicht, dass ein Bettler das Profil irgendeines Dogen habe«, schrieb Jean-Paul Sartre und konnte nicht ahnen, dass die Wirklichkeit seine Schwarzmalerei übertreffen würde: Nicht nur, weil man die Venezianer heute mit der Lupe aufspüren muss (knapp 53.000 Einwohner, Tendenz sinkend, die jährlich von 33 Millionen Touristen heimgesucht werden), sondern auch, weil die überwältigende Mehrheit der Venedig-Besucher gar nicht mehr weiß, was Dogen sind.

Stattdessen wissen sie, wo sich die schönsten Instagram-Spots abseits der Massen befinden, wo man am Canal Grande Picknick machen kann und dass man die teure Gondelfahrt spart, wenn man das Foto in einem traghetto macht, dem Gondel-Fährdienst, der nur zwei Euro kostet. Im Grunde stehen wir hier in Venedig nur im Weg, wenn die Touristen mit ihren Rollenkoffern durch die Gassen irren, weil sie ihre über Airbnb gebuchte Unterkunft nicht mit Google Maps finden oder weil wir ihnen den Platz im Vaporetto wegnehmen, das sie fürs Sightseeing nutzen wollen, weil sie gelesen haben, dass Rundfahrten mit Touristenschiffen durch die Lagune teuer sind.

Dank Billigflügen, Bettenburgen und Kreuzfahrtschiffen wurde der Tourismus zur Industrie und zum Fluch unserer Tage. Nicht mal die Pest von 1630 war so effektiv bei der Ausrottung der letzten Venezianer wie Airbnb: Es gibt keine Beschränkungen, ein formloser Antrag reicht. Und für den Rest bauen chinesische Finanziers neue Hotels in Mestre: 4.800 Betten – und ebenso viele Tagestouristen.

An Feiertagen und im Sommer kommt es in den venezianischen Gassen zum Kollaps, weshalb die Experten der Welt vom »Venice model« sprechen, wenn sie ein Beispiel dafür suchen, wie der Massentourismus eine Stadt zerstört. Als die Bürgermeisterin von Barcelona sagte, dass ihre Stadt »nicht wie Venedig enden soll«, wurde sie dafür vom venezianischen Bürgermeister Luigi Brugnaro heftig attackiert. Brugnaro lebt in einer weitläufigen Villa auf dem Festland in Mogliano Veneto, von wo aus er an Feiertagen, wenn es wegen des unkontrollierten Andrangs an den Anlegern der Vaporetti zu apokalyptischen Szenen kommt und die Tagestouristen (90 Prozent) Tonnen von Müll hinterlassen, gerne twittert, dass man Venedig nicht schließen könne.

Der Unternehmer Luigi Brugnaro regiert Venedig seit 2015 – mit Tweets wie Trump und Interessenkonflikten wie Berlusconi. Wie seine Vorgänger auch hängt er dem fundamentalistischen Glauben an den Massentourismus wie ein Gotteskrieger an: Wer nicht daran glaubt, wird geköpft. Das politische Programm der venezianischen Bürgermeister der letzten 30 Jahre lautet »Venezianer raus, Touristen rein« und wird dank der Stimmen der Festlandbewohner umgesetzt – für die Venedig die Gans ist, die goldene Eier legt.

Weshalb ich, wenn ich Bürgermeisterin von Venedig wäre, zuallererst dafür sorgen würde, der Stadt ihr Selbstbestimmungsrecht zurückzugeben. Ansonsten würde ich mich nicht damit lächerlich machen, ein paar Gemeindepolizisten hinter Absperrungen zu stellen, was als Maßnahme gegen den Massenandrang so wirkungsvoll ist wie der Versuch, Wasser bergauf zu drücken. Ich würde auch nicht eine Sekunde daran glauben, dass ein Eintrittsgeld jemanden davon abbringen würde, Venedig zu besuchen. Ich würde eine weltweite Werbekampagne entwerfen lassen, die den Tourismus zu einem Tabu erklärt. Nicht so schlimm wie Pädophilie, aber fast. Anderen Menschen den Lebensraum zu zerstören, muss mindestens so peinlich sein, wie Elefanten zu jagen oder Pelzmäntel zu tragen. Ich würde mir wünschen, dass man sich schämt, wenn man nicht im Hotel, sondern in einem Airbnb wohnt, weil man so anderen Menschen die Wohnung wegnimmt. Dass man sich nicht mehr traut, zuzugeben, für 29,99 Euro nach Venedig geflogen zu sein, nur um ein Selfie am Markusplatz zu machen. Dass man sich geniert, wenn man von einem Kreuzfahrtschiff auf Venedig herabblickt, weil man beim Verlassen der Stadt eine Schneise der Zerstörung hinterlässt: Feinstaub und Wasserdruck, der die fragilen Fundamente der Stadt zerstört.

Das Motto meiner Wahlkampagne wäre ein Zitat von Blaise Pascal: »Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.« Sie meinen, ich hätte keine Chance? Das hat man bei Trump auch gesagt.


Petra Reski ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt in Venedig.

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