Thomas Straubhaar antwortet

Liegen die besten Jahre schon hinter uns?

Thomas Straubhaar (Bild: Körber-Stiftung)

Kein Zweifel, die Menschheit steht vor gewaltigen Herausforderungen. Aber: War das nicht schon immer so seit der Vertreibung aus dem Paradies? Plagte die Menschen nicht lange die Sorge, dass der Himmel einstürzt, die Sintflut alles mitreißt und die Apokalypse zerstört, was über Jahrhunderte aufgebaut wurde?

Unsere Vorfahren haben alle Existenzkrisen mit unglaublichem Erfolg bewältigt. Nicht Naturkatastrophen, nicht die Pest, nicht Kriege und auch nicht das Ozonloch haben die Menschheit auf ihrem langen Weg zu stetig verbesserten Lebensbedingungen wirklich aufhalten können. Warum sollte nun ausgerechnet jetzt, im 21. Jahrhundert, alles anders – schlechter – werden?

Auf welcher Basis ruht dieser Optimismus, dass es unsere Kindeskinder besser und nicht schlechter als wir haben werden? Es ist die Innovationskraft der Menschen. Wenn richtig ist, dass der Krieg der Vater aller Dinge ist, dann gilt ebenso, dass die Krise die Mutter der meisten Innovationen war. Not hat schon immer erfinderisch gemacht. Die Peitsche des Mangels war seit eh und je der stärkste Anreiz, um Ressourcen schonender und besser zu nutzen und schneller nach neuen Technologien zu suchen.

Solange es kluge Menschen geben wird, so lange wird es auch intelligente Lösungen für drängende Herausforderungen geben. Wer hätte sich vor 100 Jahren auch nur im Entferntesten ausmalen können, wie wir heute leben, wie rasch wir um die Welt reisen und in Echtzeit miteinander rund um die Uhr kommunizieren – mit Smartphones, die alles können, und mit Apps, die alles wissen. Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind die Basisinnovation der Gegenwart. Sie werden in Zukunft Veränderungen erwirken, deren Dimensionen bestenfalls ansatzweise erkennbar sind. Damit einher gehen – bei allen Risken – gute Chancen auf ein besseres Leben für kommende Generationen.

Deshalb wird das Bildungssystem darüber entscheiden, ob es mit einer Gesellschaft nach oben oder unten geht. Es hat nicht nur Wissen, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln und zu fördern. Wichtiger ist, dass das Bildungssystem Menschen ermächtigt, ein immer längeres Leben hindurch kreativ und innovativ zu sein, anpassungsfähig zu bleiben und sich zuzutrauen, Probleme zu lösen, anstatt vor Herausforderungen zu kapitulieren. Dafür braucht es Anreize und Förderprogramme, die sich nicht nur an Kinder, Jugendliche, Auszubildende und unter 25-Jährige richten. Es bedarf mehr Unterstützung und Freiräume für das lebenslange Lernen älterer und alter Erwachsener.

Warum nicht wenigstens vom Staat finanzierte, für die Menschen kostenlose Bildungsgutscheine für alle unter 70-Jährigen, die einmal alle zehn Jahre formlos, ohne Aufwand und Bürokratie, eine längere Fort- und Weiterbildung ermöglichen? Bildungsausgaben müssen von einer Pyramide, bei der in jungen Jahren viel und in fortgeschrittenem Alter immer weniger Geld fließt, zu einem Zylinder umgestaltet werden – mit einer gleichmäßigen Verteilung der Bildungsausgaben über jedes Lebensalter.

Bildung anders zu handhaben, nicht nur als Aufgabe für den Lebensanfang, sondern für alle Lebensphasen, wird auch deshalb von herausragender Bedeutung sein, weil Digitalisierung eine altersabhängige Polarisierung mitverursacht. Wie heute schon in Familien zwischen Eltern und Kindern oder in Klassenzimmern zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern zu beobachten, gibt es eine Spaltung der Gesellschaft. Es zeigt sich eine »digital divide« zwischen Jüngeren, die mit den neuen Technologien zusammen aufwachsen, und Älteren, die vom Tempo der Veränderungen in Alltag, Beruf und Freizeit überfordert sind und von den modernen Entwicklungen abgehängt werden. Um hier gegenzusteuern und einen Generationenkonflikt zu vermeiden, bedarf es stetiger altersspezifischer Weiterbildungsangebote, die zu einer erhöhten Produktivität und verbesserten Mobilität älterer Arbeitskräfte beitragen.

Ebenso notwendig sind soziale Sicherungssysteme, die Älteren die notwendigen zeitlichen Freiräume eröffnen, um sich stets und immer wieder von Neuem mit modernen Technologien, deren Umgang und Nutzung vertraut zu machen. Werden kluge Köpfe immer wieder – also auch als Erwachsene und ebenso mit fortgeschrittenem Alter – richtig gefördert, wird es künftig – wie seit eh und je in der Menschheitsgeschichte – jenen Fortschritt geben, der dafür sorgen wird, dass die besten Jahre nicht hinter, sondern vor uns liegen.


Thomas Straubhaar ist Autor und Professor der Universität Hamburg für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen.

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