Magnus Ressel antwortet
Was ist heute besser als früher?

Von den Herausforderungen der Gegenwart aus betrachtet, erscheint das Leben der Vergangenheit häufig übersichtlicher und geordneter. Man kann jedoch recht klar festhalten: Jede Generation hat zwar ihre Herausforderungen, die jüngere hat es in der Regel aber etwas leichter als ihre vorhergehende.
Das zeigt sich zum Beispiel an den Möglichkeiten der Medizin. Von Jahr zu Jahr verbessern die sich derart, dass zwischen uns und unseren Vorfahren Welten liegen. Ein interessantes Beispiel dafür bietet der französische Sonnenkönig: König Ludwig XIV. (1638–1715) war seinerzeit sicher der reichste und mächtigste König Europas. Und doch war es in Versailles um die Hygiene nicht zum Besten bestellt. Eine jahrelange Qual musste der König wegen seiner Zähne erdulden, die mangels guter Pflege immer weiter zugrunde gingen. In den 1680er Jahren war der Verfall seines Gebisses dermaßen weit vorangeschritten, dass ihm alle Zähne gezogen wurden – ohne Betäubung! Die Wunden verschloss man mit Glüheisen, wobei einige nur unvollständig heilten und eine Mund-Antrum-Fistel entstand. Zur ruinierten Mundhöhle gesellte sich zur selben Zeit noch eine Analfistel. Diese wurde ihm 1686 operativ entfernt, natürlich wieder ohne Betäubung. Zu alledem litt der König zeitlebens an einem Bandwurm. Das musste der mächtigste Mann Europas in einem der fortschrittlichsten Staaten der Welt erdulden.
Auch um die Reisefreiheit war es früher nicht besonders gut bestellt. Heute erreichen wir für den Bruchteil eines Durchschnittsmonatslohns in kürzester Zeit nahezu jeden Ort der Welt. Vergleichen wir das mit dem Zustand vor 200 Jahren: Als Goethe Ende Mai 1788 von Mailand nach Fussach reiste und dafür den günstigen Lindauer Boten in Anspruch nahm, dauerte die Fahrt von 300 km fünf Tage und kostete ihn 122 Gulden. Das Jahresgehalt des Professors Friedrich Schiller in Jena betrug zu der Zeit 400 Gulden. Fernreisen waren für die einfache Bevölkerung daher völlig unerschwinglich.
Der Großteil der Bevölkerung reiste, wenn überhaupt, nur aus wirtschaftlichen Erwägungen, um Handel zu treiben oder dauerhaft umzuziehen.
Kurzum: Das Leben war früher schmerzhafter, und der Einzelne war in seiner Bewegungsfreiheit viel eingeschränkter. Und das gilt bis in die jüngste Vergangenheit. Gerade in den letzten Jahren waren die Fortschritte in diesen Bereichen enorm. Die Freiheit und Vielfalt der Moderne mag für manche beängstigend wirken. Aber denken wir an den schmerzgeplagten König Ludwig XIV. oder Goethes teure, lange Reise, dann können wir die Errungenschaften unserer Zeit als ein großes Privileg anerkennen und den Schwierigkeiten des modernen Alltags vielleicht etwas entspannter begegnen.
Magnus Ressel ist Privatdozent an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Er hat in Saarbrücken und Sydney studiert, in Paris und Bochum promoviert und war länger tätig an den Universitäten von München, Padua, Groningen und nun in Frankfurt am Main. Derzeit bereitet er eine Veröffentlichung zum »Lindau-Mailänder Boten« vor, dem transalpinen Brief- und Transportsystem von 1500–1826, auf dem Gebrüder Weiss unter anderem basiert.