Rajna Hristova Ivanova antwortet

Was war früher besser?

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#12 Wie geht es weiter?
2019

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Rayna Breuer

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Europa

Rajna Hristova Ivanova aus Bulgarien wurde 1931 geboren und ist Rentnerin, Witwe vierfache Oma und dreifache Uroma. Sie guckt gerne Kochsendungen oder blättert im Weltatlas und geht täglich mit ihren Nordic-Walking-Stöcken spazieren. (Bild: Rayna Breuer)

Uns wurde damals gesagt, dass alles besser sei – der Kommunismus sei besser als der Kapitalismus, der Osten sei besser als der Westen, wir hätten die Lampe erfunden, das Telefon, den Computer, und den Wettlauf im Weltall hätten wir mit Juri Gagarin ohnehin schon gewonnen. Aber nach 1989 haben wir erfahren, dass nicht alles so war, wie es uns erzählt wurde.

Doch ich will nicht alles schlechtreden, denn es gab auch schöne Momente damals: Irgendwie hab ich das Gefühl, dass man sich um die Kinder besser gekümmert hat. Ich war Lehrerin in Biologie und Chemie, und jedes Jahr gab es Sommerlager für alle Kinder. Also konnten auch die armen Kinder für ganz wenig Geld ans Schwarze Meer oder in die Berge mitfahren. Welches arme Kind kann heutzutage bitte Urlaub machen? Nur die Reichen können sich das leisten. Klar waren die Kinder, deren Eltern hohe Positionen in der Partei hatten, in speziellen Ferienanlagen einquartiert und haben mehr zu essen bekommen, während wir in einem Zimmer mit zehn Betten schlafen mussten. Aber wir hatten trotzdem Spaß, und es entstand ein Gemeinschaftsgefühl. Außerdem gab es weniger Alltagskriminalität. Nie haben wir unsere Tür abgeschlossen, das Obst und Gemüse auf dem Markt lagerte über Nacht einfach dort, keiner hat es geklaut. Ebenso die Milchflaschen. Wir haben täglich Milch bekommen, die Flaschen standen vor der Tür, niemand hatte Angst, dass etwas wegkommt. Dann kam die Demokratie, und wir mussten unsere Tür dreifach und vierfach verriegeln und Angst haben, dass unser Auto gestohlen wird. Und ja, man musste zwar lange warten damals, aber am Ende hatten die meisten eine eigene Wohnung. Sicher, die Parteileute hatten die besseren Lagen und mehr Platz, aber auch der einfache Mensch hatte seine eigenen vier Wände. Wer kann sich denn bitte heutzutage eine eigene Wohnung leisten? Familien mit Kindern zahlen horrende Mieten und wissen gar nicht, was Eigenheim bedeutet.

Aber sosehr ich in der heutigen Gesellschaft viele Nachteile sehe, mit dem sozialistischen System bin ich nicht warm geworden. In meinem Unterricht musste alles mit der Partei verbunden sein, der rote Faden durfte nicht fehlen. Man musste den Kindern vermitteln, was der Kommunismus, die Partei und die Sowjets, unser Brudervolk, alles für uns machen. Und eigentlich wollte ich Ärztin werden, das war mein größter Wunsch, doch mir wurde das verboten, weil mein Vater Tierarzt war und für eine Division des Monarchen gearbeitet hat, also noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Was mich aber am meisten gekränkt hat, ist, dass wir die Kinder gottlos erziehen mussten. Wir durften nicht einmal im Privaten unsere Religion ausüben. Es war schlichtweg verboten. Als Lehrerin hätte ich vom Schuldienst ausgeschlossen werden können, wenn mich jemand gesehen hätte, wie ich ein Gotteshaus betrete. Als mein Schwiegervater gestorben ist, wurde eine kleine Andacht in einer Kirche für ihn gehalten. Mein Mann und ich sind draußen geblieben, denn mein Mann war Direktor einer Schule. Er hat sich nicht getraut reinzugehen, um seinem Vater während der Andacht nahe zu sein. Das war der Kommunismus. Also ja, es gab Vorteile. Aber es war damals bei Weitem nicht so viel besser, wie es uns heute glauben gemacht wird.


Rayna Breuer ist Politik- und Rechtswissenschaftlerin und arbeitet als freie Journalistin.

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