Menschen

Von Perlen, Kaffee und Tee

Warum trinken die Briten so gerne Tee, während Italien bekannt für Espresso ist? Und kennen sich in Indien wirklich so viele Menschen mit Informatik aus, oder ist das ein Klischee? Fest steht: Nationale Besonderheiten entstehen meist durch Handel.

Wer an Venedig denkt, denkt an Steinbrücken, die über Kanäle führen, schlanke Gondeln, Masken mit Schnabelnasen und natürlich an bunte Perlen aus Muranoglas. Die kleinen Kugeln erinnern an Blümchen in Aspik und sind zu Armbändern und Halsketten aufgefädelt ein beliebtes Souvenir aus der Lagunenstadt. Muranoperlen und Venedig gehören spätestens seit dem Mittelalter zusammen. Damals ließ Venedig aus Brandschutzgründen alle Glasbrennöfen der Region auf die kleine Insel Murano verlegen. Zudem konnte dort das streng gehütete Geheimnis der Glasherstellung besser bewahrt werden. Als die Europäer zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert Handel in Indien, Afrika und Amerika betrieben, verbreiteten sich die bunten Perlen um die Welt. Denn auf den fremden Kontinenten trafen die Europäer auf Menschen, die kein Interesse an ihrer Währung hatten. Stattdessen waren dekorative Objekte beliebt. Deshalb gaben die Handelsseemänner Glasperlen aus Murano in Auftrag und tauschten sie auf Reisen gegen Gewürze, Elfenbein, Palmöl oder sogar Sklaven ein. Bis zu einer Million Stück stellten die Glasmanufakturen in Murano pro Jahr her, Christoph Kolumbus soll sie als Gastgeschenk überreicht haben, als er San Salvador und damit Mittelamerika erreichte. Entsprechend waren die heute für Venedig so typischen Perlen irgendwann als „Handelsperlen“ bekannt.

Handel treibt nationale Vorlieben voran
Auf seiner Amerikareise lernte Christoph Kolumbus als erster Europäer außerdem Paprika kennen. 75 Jahre später pflanzte die ungarische Adelige Széchy Margitnak in ihrem Garten Paprika, den sie als „roten türkischen Pfeffer“ bezeichnete. Schließlich waren es die Türken, die die Paprika nach Ungarn gebracht hatten, nachdem sie 1526 die Ungarn bei der Schlacht von Mohács besiegt und anschließend große Teile Ungarns und Kroatiens erobert hatten. Heutzutage steht Paprika zusammen mit Puszta, der kargen Ebene zwischen Donau und Theiß, und dem weiblichen Vornamen Piroschka für vieles, was den Nationalcharakter des Landes ausmacht. Englands Vorliebe für Tee geht ebenfalls auf koloniale Handelsbeziehungen zurück. Tee wurde erstmals vor 5000 Jahren, in erster Linie als Medizin, in China kultiviert und gelangte Anfang des 17. Jahrhunderts durch die Niederländische Ostindien-Kompanie nach Europa, genauer nach Amsterdam. Nach England kam der Tee etwa 50 Jahre später – und zwar durch die Heirat des britischen Thronfolgers Charles II. mit der portugiesischen Prinzessin Katharina von Braganza. Am Hof von Portugal wurde durch die ehemalige portugiesische Kolonie Macau schon länger eine starke Teekultur gepflegt, und so brachte die Infantin Tee als Teil ihrer Mitgift ins Vereinigte Königreich. Regelmäßig lud sie die Frauen der Upper Class zur Tea Time – zu einem ungezwungen Austausch über den neusten Klatsch und Tratsch. Irgendwann wurde immer mehr Tee aus der britischen Kolonie Indien nach England verschifft, und je größer die Mengen wurden, umso stärker sank der Preis. So konnten sich im Laufe der Zeit auch Arbeiter eine Tasse davon leisten, und Tee löste das Bier, das man bislang sogar morgens getrunken hatte, warm und mit Muskat und Zucker gewürzt, als Nationalgetränk ab. England und Tee sind so stark miteinander verknüpft, dass man sich wundert, dass das Land in einem weltweiten Ranking der Teetrinker erst auf dem achten Platz landet, nach der Türkei, Brasilien, China, Singapur, Russland, Sri Lanka und Hongkong. Ebenso erstaunlich mutet ein Fakt aus Italien an, das als Land des Kaffees schlechthin gilt: In einer Erhebung zum weltweiten Pro-Kopf-Absatz von Kaffee landete Italien nur auf einem der hinteren Plätze. Dass dennoch vermutlich jeder bei Italien an schwarzen Espresso und schaumigen Cappuccino denkt, ist der Reiselust des Mediziners und Botanikers Prospero Alpini zu verdanken. Er begleitete im 16. Jahrhundert einen venezianischen Konsul nach Kairo, stieß dort auf die Kaffeepflanze und über einen seiner Schüler kam die Kaffeebohne nach Venedig. Die erste Schiffsladung erreichte Anfang des 17. Jahrhunderts den Hafen der Lagunenstadt und verbreitete sich von dort erst unter den venezianischen Aristokraten und schließlich über ganz Italien.

Blue Jeans und indisches IT-Know-how
Aber nicht nur Handelsgüter prägen und symbolisieren Länder, auch bestimmte Fertigkeiten und natürlich politische Entscheidungen tragen zum Image eines Landes bei. Der Zusammenhang zwischen Indien und der IT-Branche etwa ist tatsächlich kein Klischee, sondern das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung: Nach der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947 setzte Ministerpräsident Jawaharlal Nehru bei der staatlichen Wirtschaftsplanung auf moderne Computertechnologie. Multinationalen Unternehmen wie IBM erteilte er die Erlaubnis, in Indien tätig zu werden, gleichzeitig stärkte er die Ausbildung von Ingenieuren und Ingenieurinnen durch die Gründung von Elitehochschulen wie dem Indian Institute of Technology (IIT). So gab es bereits in den 1970er Jahren viele indische Fachkräfte, die mit Programmierung und Informatik vertraut waren. Kurze Zeit später wurde die Softwareentwicklung auf dem Subkontinent als Industrie anerkannt, internationale Konzerne richteten aufgrund der niedrigen Lohnkosten eigene Softwareentwicklungszentren in Indien ein. Wie lange das Land seine Wettbewerbsvorteile gegenüber der internationalen Konkurrenz verteidigen kann, wird sich zeigen. Gut möglich jedoch, dass die nächste Generation von IT-Fachkräften aus Brasilien kommen wird, aus China, Polen oder einem anderen Land mit gut ausgebildeten Leuten, die für relativ niedrige Löhne arbeiten. Genauso wie das Handeln Einzelner fördern und prägen geografische Gegebenheiten Nationalsymbole. Amerikanische Baumwolle verkörpert über die aus ihr gefertigten Blue Jeans ein nostalgisches Lebensgefühl der USA – zum Beispiel das des einsamen Cowboys auf seinem Pferd oder des Goldgräbers auf der Suche nach dem großen Fund. Dabei spielt gar keine Rolle mehr, dass es eigentlich die italienische Stadt Genua war, die der Jeans ihren Namen gab – denn von dort aus wurden die Baumwollhosen in die USA
exportiert.

Dass Griechenland mit Seefahrt assoziiert wird, liegt wiederum an seiner Lage im östlichen Mittelmeer – und daran, dass zu Griechenland mehr als 3.000 Inseln gehören. Über Jahrhunderte hinweg waren sie ausschließlich über den Wasserweg erreichbar, und so entwickelte sich das Land mit der blau-weißen Flagge zur Seefahrernation. Heute besitzen griechische Reedereien eine der wichtigsten Handelsflotten weltweit – und zahlen in ihrem Heimatland dank einer Sonderregel in der griechischen Verfassung so gut wie keine Steuern. Dafür hat Aristoteles Onassis bereits in den 1950ern gesorgt. Und vermutlich wird sich daran auch nicht so schnell etwas ändern. So verweisen Nationalsymbole häufig in die Geschichte, in die Geografie und bisweilen auch auf Zufälle – manchmal über lange Zeiten hinweg.

Carola Hoffmeister hat Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert. Als Journalistin und Autorin zieht es sie immer wieder in die weite Welt.

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