Clemens Plank im Gespräch
Gepresste Erde
Der Vorarlberger Clemens Plank, Architekt und Dozent an der Universität Innsbruck, baut Häuser aus dem Naheliegendsten und schafft damit Arbeitsplätze, wo sie dringend gebraucht werden. Ein Gespräch über eine genial einfache Lösung, die (noch) nicht weit verbreitet ist.
Clemens, ihr baut also eine Kinderbetreuungsstätte aus Stampflehm. Diese ursprüngliche Baumethode hat Martin Rauch, ein genialer Baukünstler aus Vorarlberg, optimiert, und ihr habt sie aufgegriffen. Die Konstruktion ist sogar erdbebensicherer als die herkömmliche Bauweise. Für Laien: Was ist die Pointe daran?
Die Pointe ist – und das ist fast schon wie ein Wunder –, dass du im Prinzip mit Erde baust. Mit steinigem Material in unterschiedlicher Körnung, das mit Lehm mehr oder weniger vermischt wird oder schon vermischt ist. Manchmal kann man es einfach so aus der Erde nehmen, wie es kommt, mal muss man ein bisschen Kies dazutun, mal ein bisschen Lehm, damit es besser schmiert. Das Gemisch wird einfach in eine Schalung, wie man sie auch zum Betonieren verwendet, in Schichten von circa zwölf Zentimetern eingegossen. Und das wird händisch oder maschinell verdichtet. So wächst die Wand Schicht für Schicht nach oben und wird dann ausgeschalt. Von der Druckfestigkeit her hat das Material die gleichen Eigenschaften wie Beton. Dadurch, dass der Stampflehm verpresst wird, verzahnen sich die Steine. Du kannst da Nägel reinschlagen wie in eine Betonwand. Und wenn es auf die Wand regnet, wird ein wenig Lehm rausgeschwemmt, und die Steine bilden eine natürliche Erosionsbremse, das Wasser dringt nicht in die Mauer ein. Das ist eine uralte Technik zum Häuserbau, die auch in Europa gang und gäbe war. Martin Rauch meint, das ist eigentlich die Bauweise für die Not. Auch in Deutschland und Italien gibt es Wohnhäuser, die so gebaut worden sind. Das weiß nur keiner, weil die ganz normal verputzte Wände haben.
Clemens Plank
Und wie funktionierte die traditionelle Bauweise ohne Verdichtung?
Bei der traditionellen Bauweise produzierst du Lehmziegel, ganz normale Ziegelsteine. In Peru werden die nicht gebrannt, sondern getrocknet. Und dann einfach miteinander verbaut. Die Häuser fallen dann zusammen, weil sie keinen festen Verbund haben.
Ich dachte immer, diese Bauweise sei auf Peru beschränkt oder nur mit peruanischem Lehm oder Ton machbar. Aber das stimmt gar nicht, oder?
Nein, das kannst du überall machen. Im Jemen zum Beispiel gibt es ganze Städte mit zehnstöckigen Gebäuden, die so gebaut sind, dieses wunderschöne Weltkulturerbe. Und in Asien auch. In Lima gibt es uralte Inka-Mauern, die vermutlich auf eine ähnliche Art und Weise gemacht worden sind.
Und was ist das Innovative an der Technik, die ihr verwendet?
Es ist eine uralte Technik, die einfach wiederbelebt wird. Jetzt kommt das Know-how dazu, das man als Wunderwerk sieht. Das ist es aber nicht. Heute stampft man das mit Pressluft runter, früher wurde es mit Holz- oder Steinstößeln händisch verdichtet. Das kann man immer noch machen, aber dann steigen die Personalkosten noch mehr. Wir wissen jetzt, dass mit unserer Bauweise für Wayna Warma die Wand pro Quadratmeter in Peru 350 Sol gekostet hat, ungefähr 100 Euro. Von diesen 350 Sol waren etwa 50 Sol Materialkosten. Und 300 Sol sind in die Arbeitsleistung gegangen. 80 Prozent dieser Leistung ist ganz, ganz unaufgeregte händische Arbeit, die eigentlich jeder machen kann. Also ist bei dieser Bauweise vor allem Arbeitsleistung relevant. Das macht sie in Österreich unattraktiv, weil Arbeit teuer ist und das Material im Verhältnis viel, viel günstiger. Das lässt sich auch ganz schwer maschinell verbessern oder maschinell übernehmen.
Aber in Peru geht die Rechnung auf?
Wenn ich zum Beispiel 10.000 Euro für den Bau des Bildungshauses in dieser Bauweise spende, gehen 9.500 Euro zu einem Arbeiter, der in Peru am unteren Existenzminimum lebt, 500 Euro gehen in ein Material, das Schotter ist. Würde man das Ganze jetzt in Peru in Stahlbeton bauen, erhielte das Geld die Stahl- und die Betonindustrie. Wenn wir es mit normalen gebrannten Ziegeln machen würden, erhielte es die Ziegelindustrie. Und die Ziegelindustrie, die Stahlindustrie und die Betonindustrie gehören europäischen oder amerikanischen Firmen. Das heißt, ein Großteil des Geldes ginge im Prinzip wieder nach Amerika oder nach Europa zurück. Bei der Bauweise mit Stampflehm findet die Wertschöpfung im Land statt.
Ihr tut also nicht nur den Kindern etwas Gutes, sondern eigentlich profitieren davon genauso die Leute, die am Bau beteiligt sind.
Genau. Am Anfang fand ich als Architekt diese Bauweise ästhetisch interessant, sie hat eine schöne Optik. Und erst jetzt sind wir darauf gekommen, dass es bei dem ganzen Projekt nicht nur darum geht, Kindern eine wertschätzende Umgebung zu ermöglichen mit einem Verein, der ein sinnvolles Konzept hat, sondern dass das Sozialprojekt schon zwei Jahre läuft, weil zehn Arbeiter eine Arbeit haben, zehn Familien versorgt werden mit dem Geld, das wir von den europäischen Geldgebern bekommen haben. Und die Arbeiter haben eine neue Bauweise gelernt, wie sie mit dem Material, das sie normalerweise zum Ziegeln verwenden, so umgehen können, dass es erdbebensicherer und viel nachhaltiger ist. Unser Entwurf besteht aus drei Häusern. Das erste Haus haben die Arbeiter mit unserer Hilfe gemeinsam entwickelt. Und das zweite Haus haben sie schon alleine umsetzen können, mit den Materialen, die wir zur Verfügung gestellt haben, den Lehmstampfern, der Schalung. Das Know-how ist jetzt in Peru. Es fehlt noch das dritte Gebäude – sobald wir das Geld dazu haben. Der nächste Schritt wäre jetzt, in dieser Gegend zum Beispiel anderen Familien mit dem Wissen und den Maschinen, die wir schon vor Ort haben, die Möglichkeit zu geben, ihre Häuser auf die gleiche Art und Weise zu bauen. Ein klassisches Lehmziegelgebäude muss jährlich saniert werden, muss gewartet werden. Aber ein Stampflehmhaus geht in hundert Jahren nicht kaputt, wenn du nur darauf aufpasst, dass das Dach dicht bleibt. Das ist eine Voraussetzung.
Die Stampflehmkonstruktion ist erdbebensicherer als die Ziegelbauweise, sagtest du. Was noch?
Sie ist sehr ökologisch, weil du zum Beispiel den Aushub aus der Baugrube verwendest. Du hast keine Recyclingprobleme. Du produzierst keine Umweltschäden mit dem Lehm. Klimatechnisch ist er fürs Innenleben im Haus günstig, weil der Lehm feuchtigkeitsregulierend wirkt. Das ist ein unglaublich positiver Effekt.
Und wem muss diese Bauweise jetzt nahegelegt werden?
Das ist eine gute Frage. Vor allem einmal den Entwicklungshilfe- Institutionen. Wir kriegen momentan Geld für die Anwendung der Lehmkonstruktion, weil die Geldgeber diese Bauweise als sinnvoll betrachten, sie erkennen die Nachhaltigkeit des Systems an. Wenn es nur um das Gebäude für die Kinderbetreuung geht, dann kann ich eine günstige Wellblechbude bauen, oder ich baue in traditioneller Lehmziegelbauweise oder mit Stahlbeton. Aber das ist zu kurz gedacht, und genau hier muss der Shift passieren: Das Gebäude an sich und die Errichtung des Gebäudes ist schon das erste Entwicklungshilfeprojekt.
An dem Bau sind ganz viele verschiedene Leute beteiligt. Warum funktioniert die Zusammenarbeit für dich so gut?
Die Methode ist verbindend. Du baust so lange an der Bildungsstätte, das ist ein meditativer Prozess. Mir als Architekt geht das Herz auf, dass auf einmal die Architektur ein Katalysator wird, dass das Gebäude zum Katalysator wird: Der soziale Aspekt liegt nicht nur in dem, was da drinnen einmal passieren wird, sondern auch schon in der Entstehung.
Was nimmst du aus dem Projekt für deine Arbeit als Architekt und Dozent mit?
Das ist eine schwierige Frage. Also, wenn man mal die ganze Kosten-Nutzen-Rechnung weglässt – was bringt es meinem Büro? Was bringt es der Universität? Dann kann ich von mir sagen: Das Gefühl, sinnstiftend zu arbeiten, ist eine große Bereicherung. Das ist das Fundament. Dann habe ich als Dozent ein sehr interessantes Projekt, das ich für Forschung und Lehre verwenden kann. Das Haus, das wir da bauen, dient als Anschauungsmodell, und es ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Das Material, das wir verwenden, ist zum Beispiel für die Statiker etwas Neues. Bis jetzt haben sie mit Stahl und Beton zu tun gehabt. Dann ist da noch ein Geograf, der das mit mir von der Universität aus betreut, der ist an den sozialen Aspekten interessiert: Wie entwickelt der Verein sich? Was hat das Gebäude für Effekte und Auswirkungen? Das Ding hat viel Geld gekostet. Das ist moderne Architektur. Ist es ein Problem, dass wir in einem Armenviertel so ein Ding hinstellen? Oder ist es ein Attraktor, haben die Leute das Gefühl, da wird wertschätzend mit einem Material umgegangen und mit den Kindern? In diesem Projekt zeigt sich für uns die Kernaussage von Architektur: der Mensch als Ausgangspunkt für die umgebende Form.
Was wünschst du dir abschließend?
Wenn die Hilfsorganisationen den Mehrwert dieser Bauweise erkennen würden und in die Architektur ihrer Projekte investieren würden, auch in Afrika oder Asien beispielsweise, das wäre sehr sinnvoll.
Frank Haas ist Leiter der Markenstrategie und Kommunikation bei Gebrüder Weiss und Chefredakteur des Atlas.