Unter Erfindermännern

Logistics Hall of Fame

Bahnbrechende Erfindungen auf dem Gebiet der Logistik prägen heute unseren Alltag, ohne dass wir es wahrnehmen. Die Globalisierung wäre in dieser Form ohne sie nicht möglich gewesen. Die virtuelle Ruhmeshalle der Logistik ehrt einige der Urheber dieser Erfindungen. Seit vergangenem Jahr findet sich dort auch Heidi Senger-Weiss in bester Gesellschaft der Impulsgeber – als erste Frau unter den Erfindermännern, von denen wir hier ausgesuchte vorstellen.

Heidi Senger-Weiss: Konsequente Internationalisierung
Seit 1968 setzt sich Heidi Senger-Weiss in verschiedenen Funktionen für die Interessen der Transportlogistik ein, mit ihrem Mann Paul Senger-Weiss hat die Unternehmerin 36 Jahre lang Gebrüder Weiss geführt. Zahlreiche Neuerungen sind auf ihre Initiative hin umgesetzt worden, etwa die 1988 gemeinsam mit zwei Partnern erfolgte Gründung des Paketdienstes APS Austria Paket System (später DPD Austria), der innerhalb kürzester Zeit zum Marktführer im B2B-Bereich in Österreich wurde. Außerdem trieb sie den IT-Einsatz in der Spedition voran, setzt konsequent auf die Internationalisierung und baut bereits seit den Achzigerjahren ein europäisches Stückgutnetz auf.

(Bild: Gebrüder Weiss)

William H. Tunner: Die Berliner Luftbrücke
Der 1906 geborene William H. Tunner beginnt seine Laufbahn an der amerikanischen Militärakademie und avanciert schnell zum Experten für Lufttransporte. Im Zweiten Weltkrieg organisiert er die US-Luftbrücke über den Himalaja und ein neuartiges System zum Transport dringend benötigter Materialien. Als am Morgen des 24. Juni 1948 die sowjetischen Besatzungsmächte alle Zulieferungswege nach West-Berlin sperren – auf der Straße, der Schiene und alle Wasserwege –, sind mehr als zwei Millionen Menschen von der überlebenswichtigen Versorgung abgeschnitten. Nur ein Luftkorridor bleibt offen, und über diesen organisiert Tunner die Versorgung der Bevölkerung. Die Berliner Luftbrücke wird in die Geschichte eingehen als Geburtsstunde der Logistik der modernen Luftfahrt, erstmals wird das Flugzeug als ernst zu nehmendes Transportmittel eingesetzt. Zur Versorgung West-Berlins installiert er drei Luftkorridore und plant präzise die Abflugzeiten, Geschwindigkeiten, Flughöhe und Steigungsraten. Diese Planung ermöglicht es, dass alle drei Minuten ein Flugzeug starten kann, und beinhaltet auch die Wahl der Flugzeugtypen, der Landebahnen, die Flugzeugwartung und die Entladevorgänge – Tunner schafft es, dass der Aufenthalt der Flugzeuge von 75 Minuten auf 30 Minuten verkürzt werden kann. Bis zum Ende der Blockade am 12. Mai 1949 starten rund 280.000 Transportflüge gen West-Berlin.

(Bild: Rechtefrei)

Eugene Bradley Clark: Der Gabelstapler
Eugene Clark, 1873 geboren, arbeitet als Maschinenbauingenieur bei einer Stahlfirma. Als die Firma Anfang des 20. Jahrhunderts droht bankrottzugehen, bietet der kreative Kopf seinen Vorgesetzten kurz entschlossen an, die Führung der Firma zu übernehmen, Partner zu werden und so die Firma zu sanieren. Bald schon schreibt das Unternehmen wieder schwarze Zahlen. Um seinen Mitarbeitern den Transport von Baumaterialien zwischen den Werkshallen zu vereinfachen, entwickelt Clark die Idee für einen ersten Frontstapler, ein simples benzinbetriebenes, dreirädriges Fahrzeug mit einem Ladebehälter für knapp zwei Tonnen Last an der Vorderseite. Es hat ein paar Besonderheiten: Wer nach links will, muss nach rechts lenken, und Bremsen besitzt das Gefährt auch nicht. Die US-Army setzt es dennoch kurz darauf im Ersten Weltkrieg für Umschlagarbeiten in Munitionsdepots ein. Clark verbessert die Lenkung, entwickelt Bremsen und gibt dem Fahrzeug einen Namen: Tructractor. 1919 verkauft er bereits 75 Stück und bringt drei Jahre später einen Hubwagen mit Verbrennungsmotor auf den Markt, 1924 schließlich den ersten Gabelstapler, mit dem ihm nach dem Zweiten Weltkrieg der weltweite Durchbruch gelingt. Bis heute gehört die Firma Clark zu den führenden Produzenten von Flurförderfahrzeugen weltweit.

(Bild: Logistics Hall of Fame)

Gottlieb Daimler: Der Lastwagen
Gottlieb Daimler, ursprünglich Däumler und geboren 1834, ist ausgebildeter Büchsenmacher und studiert Maschinenbau. 1869 übernimmt er den Vorstand der Werkstätten der Karlsruher Maschinenbaugesellschaft und legt mit seiner Arbeit den Grundstein für die heutige Daimler AG. Zusammen mit Wilhelm Maybach entwickelt er einen Einzylinder-Viertaktmotor – der erste Verbrennungsmotor, der mit Benzin angetrieben wird – und meldet diesen zum Patent an. Die beiden bauen 1886 den Motor in eine Kutsche ein und bringen damit den ersten vierrädrigen Kraftwagen auf die Straße – Carl Benz’ motorisiertes Gefährt hat nur drei Räder. 1896 wird mit dem Phoenix der erste motorisierte Lastwagen der Daimler-Motoren-Gesellschaft gebaut. Der Zweizylinder- Viertaktmotor mit 4 PS, einer Spitzengeschwindigkeit von 10 km / h und einer Nutzlast von 1,5 Tonnen erscheint aus heutiger Sicht nicht sonderlich spektakulär, dennoch hat Daimler mit der Auslieferung dieses ersten Lkw die Entwicklung des Güterverkehrs entscheidend geprägt. Im Jahr 2014 betrug der Umsatz der globalen Lkw-Industrie 125 Milliarden Euro.

(Bild: Rechtefrei)

Malcom McLean: Der Container
Malcom McLean, geboren 1913, ist Tankstellenpächter, als er 1935 zusammen mit seinen Geschwistern seinen ersten Truck kauft, um eine kleine Spedition zu gründen. In den Folgejahren baut er ein Imperium auf, das zum zweitgrößten Transportunternehmen in den USA anwächst. Schon früh hat er die Idee, die Umladungszeiten mittels genormter Behälter zu kürzen. Noch wird bei jedem Ent- und Beladevorgang die Ladung Stück für Stück entladen, neu gepackt und wieder verladen – oftmals sind Dutzende von Arbeitern beteiligt, und das Ganze dauert manchmal tage- und wochenlang. Dennoch stößt seine Idee zunächst auf Desinteresse. Als Logistikunternehmer ist es ihm nicht erlaubt, eine Schifffahrtslinie zu betreiben – und so verkauft er McLean Trucking und erwirbt stattdessen die Reederei Pan Atlantic Steamship. Am 26. April 1956 verlässt die Ideal X als erstes Containerschiff den Hafen von Newark – beladen mit 58 Containern – und begründet die Geburtsstunde der Containerschifffahrt. Vor allem in Europa befürchtet man anfangs, dass die Umstellung auf Container ein Hafensterben verursachen könnte. Es passiert jedoch das Gegenteil: Ein regelrechter Hafenboom setzt ein. Heutzutage werden etwa 90% des Welthandels über den Schiffsverkehr abgewickelt.

(Bild: Maersk Line)

Gottfried Schenker: Der Bahnsammelverkehr
Gottfried Schenker, 1842 in der Nähe von Olten in der Schweiz geboren, beginnt sein Arbeitsleben als Beamter bei der Schweizerische Centralbahn, wechselt aber schon ein Jahr später in die Privatwirtschaft und arbeitet für verschiedene Transportunternehmen. 1872 gründet er zusammen mit zwei weiteren Geschäftsleuten seine eigene Spedition Schenker & Co. und organisiert im Folgejahr den ersten Bahnsammeldienst zwischen Paris und Wien, um die Wiener Gesellschaft mit Luxusartikeln wie Champagner und Modewaren zu versorgen. Er bündelt Einzelsendungen zu größeren Transporteinheiten, die er über die Schiene und von dort aus – zu dieser Zeit noch – per Pferdekutsche weiterverteilt. Dieses Sammelnetzwerk baut Schenker in den folgenden Jahren aus, nicht nur auf der Schiene, sondern per Schiff und auf der Straße. Der Unternehmer kann so einen neuartigen, preiswerten und schnellen Transport als Erster zu fixen Frachttarifen anbieten. Was er anbietet, revolutioniert das Transportwesen: »Von Haus zu Haus in einer Hand.« Als er 1901 stirbt, gibt es bereits 32 Niederlassungen in 13 europäischen Ländern mit über tausend Mitarbeitern.

(Bild: Rechtefrei)

Taiichi Ohno: Das Just in time-Prinzip
Taiichi Ohno, 1912 in der Mandschurei geboren, beginnt in den Dreißigerjahren für Toyota zu arbeiten. Nachdem der junge Ingenieur Eiji Toyoda, später Direktor und Präsident des Konzerns, in den USA die Massenfertigung von Ford studiert und analysiert hat, beauftragt er seinen Produktionschef Ohno, für Toyota ein eigenes Fertigungssystem zu entwickeln. Dieser orientiert sich hierbei weniger an den Methoden von Ford, sondern vielmehr am Lieferungssystem amerikanischer Supermärkte, wo Kunden die gewünschten Produkte zur gewünschten Zeit in der gewünschten Menge abfordern können. Dieses Prinzip, das besagt, dass die richtige Menge in der richtigen Reihenfolge in der richtigen Qualität zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, wird als Toyota-Produktionssystem bezeichnet, das noch heute für Automobilhersteller auf der ganzen Welt als Vorbild gilt. Hinzu kommt das von Ohno entwickelte Just in time-Prinzip, das vorsieht, dass die einzelnen Teile der Produktion genau dann zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Zwischen Zulieferern und den Montagefabriken entsteht eine Lieferkette, die Überproduktion und teure Zwischenlagerung minimalisiert.

(Bild: Toyota Material Handling Europe)

Die Logistics Hall of Fame wurde 2003 gegründet, um Persönlichkeiten zu ehren, die sich in besonderer Weise um die Logistik und das Supply Chain Management verdient gemacht haben. Damit soll die Leistungsfähigkeit und die Innovationskraft dieser Branche dokumentiert und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Verbände und Organisationen, Wirtschaft und Politik, Wissenschaft, Medien, Unternehmen und alle Logistiker rund um den Globus sind aufgerufen, geeignete Frauen und Männer für die Aufnahme in die logistische Ruhmeshalle vorzuschlagen. Entscheidend ist, dass deren Leistung nachhaltig positive Auswirkungen auf die logistische Leistungsfähigkeit einer größeren Gruppe von Unternehmen oder Institutionen hatte.


Imke Borchers ist Literaturwissenschaftlerin und Redakteurin für den Atlas.

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