Eisschwimmen

Gilly McArthur ist im Nordosten Schottlands aufgewachsen und war schon als Kind in den sogenannten Lochs baden – so nennt man in Schottland die Seen. Heute ist sie Kaltwassercoach und begleitet Menschen dabei, eigene Erfahrung mit dem Sport zu machen, den sie selbst liebt: das Schwimmen in eiskaltem Wasser.

Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, wenn man das Eisschwimmen einmal ausprobieren möchte? Braucht es Mut? Oder lieber einen guten Neoprenanzug?
Das Geheimnis beim Eintauchen in kaltes Wasser ist, es im eigenen Tempo zu machen. Manche Leute gehen in einem Neoprenanzug schwimmen, andere tragen lieber nur einen Badeanzug. Das ist wirklich jedem selbst überlassen! Es geht nur darum, sich aufzumachen und es überhaupt einmal zu versuchen. Und du musst wissen, dass jeder Tag anders ist und dein Körper an diesem Morgen anders ist als am Tag zuvor.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich selbst am liebsten nur einen Badeanzug anhabe. Ich möchte das Wasser und die Kälte am Körper spüren, um mich wirklich mit der Natur verbunden zu fühlen. Wenn ich Schwimmer trainiere, die einen Neoprenanzug tragen, schlage ich vor, dass sie in der letzten Minute der Trainingseinheit ihren Neoprenanzug im Wasser ausziehen, um zu sehen, wie sich das für sie anfühlt. Manchmal trage ich im Winter noch ein Paar Schutzstiefel, um meine Zehen warm zu halten und sie vor den Felsen zu schützen. Stiefel und Handschuhe schmälern die positive Wirkung der Kälte nicht, machen die Sache aber angenehmer!
Mit der Zeit wird sich dein Körper anpassen, du brauchst nur etwa sechs Trainingseinheiten, um dein Gehirn umzugewöhnen. Mir fällt es übrigens immer schwer – aber man gewöhnt sich einfach daran, dass es einem schwerfällt, und dann ist es okay.

Was passiert mit dem Körper, wenn man in kaltes Wasser kommt, insbesondere mit dem Gehirn?
Es passiert viel, wenn wir ins kalte Wasser gehen! Die Durchblutung verbessert sich (das kalte Wasser bewirkt, dass sich die Blutgefäße verengen, und wenn man aus dem kalten Wasser wieder rauskommt, weiten sie sich rasch), durch die Endorphinausschüttung hellt sich die Stimmung auf, und das geistige Wohlbefinden wird gesteigert. Und für diejenigen, die mit Meditation noch nicht vertraut sind, ist Kaltwasserschwimmen ein großartiger Einstieg, weil es im kalten Wasser überhaupt keine Gelegenheit gibt, um über Einkaufslisten und Arbeit nachzudenken. Wir sind nämlich voll mit den Empfindungen und Geräuschen beschäftigt, die in unserem Körper vor sich gehen. Das kann sehr beruhigend sein. Außerdem geht man davon aus, dass Kälte die körperliche Stressreaktion verbessert, indem sie dämpfend auf den anregenden Teil unseres Nervensystems einwirkt, den Sympathikus, und die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol bewirkt. Jüngste Studien haben zudem gezeigt, dass das Eintauchen in kaltes Wasser gegen Typ-2-Diabetes und sogar gegen Demenz wirksam sein kann. Es ist großartig, dass die Wissenschaft aufholt, was seit Jahrtausenden zumindest anekdotisch bekannt ist: Hippokrates sprach bereits um 400 v. Chr. über die Vorteile von kaltem Wasser, das alles ist also überhaupt nichts Neues.

Wie kann man sich am besten an das Schwimmen in der Kälte gewöhnen?
Jeder hat eine andere Ausgangsposition. Und für die meisten geht es im Winter gar nicht so sehr ums Schwimmen, sondern mehr darum, im Wasser mit Freunden zu plaudern und dabei ein bisschen auf und ab zu wippen. Manche fangen lieber erst einmal mit kalten Duschen an. Die Dusche erst etwas kälter und dann auf kalt zu stellen ist eine gute Möglichkeit, eine gewisse Toleranz zu entwickeln. Mir selbst fällt kaltes Duschen allerdings immer noch ziemlich schwer! Ein bisschen leichter wird es, wenn man erst einmal die Füße abduscht und den Duschkopf allmählich Richtung Oberkörper hochzieht. Ich habe aber eine Eiswanne in meinem Garten, die ich nutze, wenn ich nicht an den See komme und einen langen Arbeitstag vor mir habe. Da springe ich rein, während der Wasserkocher kocht, um noch vor dem Frühstück und vor dem Kaffee ein kaltes Bad zu nehmen. Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse, die besagen, dass nur etwa zwei Minuten in kaltem Wasser ausreichen, um dein Gehirn neu zu verdrahten und Glückshormone auszuschütten.

Gilly McArthur empfiehlt Mütze und Handschuhe für das Baden im eiskalten Wasser.
Gilly McArthur empfiehlt Mütze und Handschuhe für das Baden im eiskalten Wasser.
Wer im Winter schwimmen will, sollte im Herbst anfangen, sich an die fallenden Temperaturen zu gewöhnen.

Bleibt es unangenehm, nachdem man sich gewöhnt hat?
Obwohl ich jetzt schon viele Winter schwimme, fühlt es sich immer noch etwas unangenehm an, ja. Aber gerade deshalb ist die Sache so wirksam! Wenn wir Dinge tun, die unangenehm sind, lernen wir, uns zu überwinden. Und wenn man erst einmal seine Schultern und seinen Atem unter Kontrolle hat, ist es einfach magisch!

Was sollte jeder über das Schwimmen in der freien Natur wissen?
Super Frage! Das Kaltwasserschwimmen kann das Leben verändern, ob man es nun professionell ausübt oder als Freizeitvergnügen in einer Gruppe. Es ist unglaublich hilfreich bei Angstzuständen, Depressionen und für die Stärkung des Immunsystems. Es hat etwas zutiefst Kraftvolles, gemeinsam in der Natur zu sein und sich in die Kälte zu begeben. Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber es ist wahr!
Wichtig ist, dass du es in der ersten Saison des Winterschwimmens wirklich langsam angehen lässt. Du fängst im Sommer an und nimmst dann die allmählich sinkende Temperatur einfach mit, damit sich dein Körper an die Veränderungen gewöhnt. Bedenke dabei, dass dein Körper noch mindestens 20 Minuten lang weiter abkühlt, nachdem du schon aus dem Wasser gegangen bist. Du musst also aus dem Wasser raus, bevor dir kalt wird. Niemals reinspringen, immer nach dem Rauskommen mehrere Schichten anziehen und etwas Warmes trinken.
Und zu guter Letzt: Wenn du an Herzproblemen leidest oder unsicher bist, sprich am besten mit einem Arzt, bevor du loslegst.

Artikel Teilen

Alle Artikel